Entscheidungen bewusst treffen, Silvia Chytil

In einem Coaching-Gespräch diese Woche ging es um Stress und Entspannung. Meine Kundin leitet gemeinsam mit einem Kollegen eine Praxis mit einigen Angestellten. Wo hin sie auch blickt – überall gibt es Probleme. Die einen MitarbeiterInnen sind unzuverlässig, andere bringen nicht genug Geld herein. Die Technik funktioniert nicht, wie sie es sich vorstellt. Und so geht es weiter und weiter. Sie hat das Gefühl ständig alles überwachen zu müssen, damit kein Unheil passiert. Kein Wunder, dass sie sich nicht entspannt fühlt.

In dem Gespräch haben wir dann genauer hingeschaut, ob sie denn tatsächlich glaubt, wenn sie alle Probleme lösen würde, dass sie dann entspannter wäre. Also zum Beispiel, wenn sie nicht so viel Verantwortung für ihre MitarbeiterInnen hätte oder wenn sie nicht selbstständig wäre.

Nach kurzem Überlegen meinte sie, naja sie war auch schon mal selbst angestellt, da war sie aber auch gestresst. Und sie hatte auch schon mal eine kleine Praxis allein, mit nur wenigen MitarbeiterInnen – auch das hat sie gestresst.

Wenn es also nicht die Anzahl an Angestellte ist, nicht die Tatsache, ob sie allein oder mit Partner arbeitet, ob sie selbstständig oder angestellt ist. Wenn das alles keinen Unterschied macht, was ist es dann?

Die Erkenntnis, die sie dann hatte, war schon eine sehr große: Wahrscheinlich ist so konditioniert, dass sie immer nur Probleme sieht und sie dadurch gestresst ist.

Wir alle sind konditioniert und haben Gewohnheiten gelernt, die auf Dauer nicht hilfreich für uns sind. Wir sehen Zusammenhänge, wo keine bestehen. Wir denken, wenn wir ein Problem lösen, dann geht es uns besser. Und wenn wir dann auch noch darauf trainiert sind, viele Probleme zu sehen, dann scheinen wir natürlich viele Probleme lösen zu müssen, bis es uns endlich besser geht.

Nur ist das ein Unterfangen, das niemals zum gewünschten Ergebnis führen kann, weil wir nicht die wahre Ursache erkennen.

Probleme sehen ist eine Gabe oder eine Last

Stelle dir folgendes vor: Die Sonne scheint, du gehst spazieren und damit dich die Sonnen nicht blendet, setzt du eine Sonnenbrille auf. Nach einem ausgiebigen Spaziergang kommst du wieder nach Hause. Du setzt dich an den Tisch und wunderst dich, dass es so dunkel im Zimmer ist. Also drehst du das Licht auf. Aber es ist noch immer dunkel. Als Nächstes überprüfst du die Jalousien. Nein, alle oben, daran kann es also nicht liegen. Du holst noch eine weitere Lampe, es wird zwar ein wenig heller, aber immer noch nicht ausreichend. Und so versuchst du weiter das Problem mit der Helligkeit zu lösen. Vielleicht bist du krank und siehst nicht mehr so gut? Vielleicht sind die Lampen kaputt und du brauchst neue. Je mehr du darüber nachdenkst, umso gestresster wirst du. Eigentlich wolltest du dir einen gemütlichen Nachmittag machen, aber daran ist jetzt natürlich nicht mehr zu denken.

Erst als du voller Verzweiflung ins Badezimmer gehst, um zu sehen, ob es dort heller ist, fällt dein Blick auf dein Spiegelbild und du erkennst: Du hast die Sonnenbrille noch auf. Deine Reaktion wird vermutlich lautes Lachen sein. Wie konntest du nicht erkennen, dass die ganze Zeit die Sonnenbrille auf deiner Nase sitzt?

Nicht anders geht es uns, wenn wir die Problem-Brille aufhaben. Ganz gleich, wo wir hinblicken, wir sehen Probleme, Probleme und nichts als Probleme.

So wie uns die Sonnenbrille vor zu viel Sonnenlicht schützte, hilft uns die Problem-Brille dabei, vorausschauend mögliche Schwierigkeiten zu erkennen. Das ist ein ganz wunderbares Tool, das wir in uns tragen. Wir können uns eine Situation in Gedanken vorstellen und mögliche Konsequenzen durchdenken. Eine wunderbare Fähigkeit, die wir Menschen haben, die zum Beispiel unser Hund nicht hat.

Zu einer wirklichen Last wird diese Gabe jedoch, wenn wir unsere Gedankenspiele mit der Realität verwechseln. Wenn wir gar nicht mehr aufhören können, Probleme im Kopf zu erschaffen. Wir die Problem-Brille nicht mehr abstreifen UND auch nicht erkennen, dass wir sie aufhaben. Denn dann glauben wir, dass es tatsächlich rund um uns nur noch Probleme gibt, die wir erst alle lösen müssten, damit wir Erleichterung erleben.

Veränderungen in unserem Leben lassen sich viel einfacher und nachhaltiger gestalten,
wenn wir sie von der richtigen Seite angehen.

Was wäre, wenn du die Problem-Brille ablegst?

Ein perfekter Hinweis, dass wir unwissentlich die Problem-Brille aufhaben ist, wenn wir auf mögliche Lösungen immer mit „ja, aber“ antworten. Denn dann suchen wir nicht tatsächlich nach einer Lösung, sondern sind auf Probleme konzentriert.

Wie die Sonnenbrille macht auch die Problem-Brille unsere Welt dunkel. Wir können das Licht nicht wahrnehmen, wir erkennen nicht, was alles funktioniert und sehen die schönen Dinge im Leben nicht. Wir haben keinen Blick dafür. In so einer Welt zu leben, macht definitiv keine Freude.

Aber nicht die Welt ist dunkel. Nur unsere Sicht darauf. Und das ist die wirklich gute Nachricht. Wir müssen nicht die Welt ändern, damit es uns besser geht. Welch eine Erleichterung.

Meine Kundin hatte in unserem Gespräch erkannt, dass sie die Problem-Brille aufhat. Vielleicht reicht dieses Erkennen bereits, um aus dieser Gewohnheit auszubrechen. Vielleicht braucht es aber auch noch ein paar Gespräche, in denen sie mehr und mehr sieht, dass ihr Wohlbefinden und ihre Zufriedenheit nichts mit den äußeren Umständen zu tun hat, sondern einzig und allein damit, durch welche Brille sie in die Welt blickt.

Wie ist es mit dir? Trägst du eine Problem-Brille, ohne es zu wissen? Siehst du ganz viele Problem, ohne wirklich Lösungen dafür zu finden?

Nimm dir ein paar Minuten Zeit und reflektiere, ob du auch die Angewohnheit hast, mit einer verdunkelten Problem-Brille durchs Leben zu laufen. Was würde passieren, wenn du diese Brille abnimmst?

Alles Liebe