Ich schaue aus meinem Bürofenster auf unser Biotop. Gerade landete ein Enten-Pärchen, nimmt ihr morgendliches Bad und holt sich Futter.
Die Arbeitsteilung fasziniert mich. Die Dame sucht nach Futter, isst, trinkt und putzt sich, während der Erpel die ganze Zeit nicht von ihrer Seite weicht, weil er – so interpretiere ich das – Wache schiebt. Sie lässt sich Zeit, schwimmt quer über den Teich, kundschaftet jeden Winkel aus, taucht immer wieder unter und findet offensichtlich ausreichend Futter in unserem Teich.
Er ist die ganze Zeit auf Wachposten und senkt kein einziges Mal den Kopf unter Wasser. Während sie am Teichrand aufgeplustert ein kurzes Schläfchen hält, steht er kerzengerade neben ihr und überblickt die Umgebung.
Während ich sie beobachte, tauchen einige Fragen in mir auf:
Denkt er sich: Mah, wann ist sie endlich fertig?
Denkt sie sich: Oh, ich muss mich beeilen, ich brauche viel zu lange?
Haben sie sich davor abgesprochen, wer was macht?
Haben sie einen Plan, ein Zeitmanagement, eine Strategie?
Machen sie sich selbst oder gegenseitig Vorwürfe, weil irgendwas nicht so gelaufen ist, wie sie es sich vorgestellt haben?
Vermutlich nicht.
Sie macht ihren Job – baden und Futter suchen.
Er macht seinen – aufpassen.
Keiner von beiden denkt sich (nehme ich einfach mal an): Ich möchte viel lieber das machen, was er/sie macht. Immer fällt mir die schwerere Aufgabe zu.
Stattdessen sind sie in dem vertieft, was sie gerade tun, ohne (so nehme ich einfach wieder an) sich zu fragen, ob sie das gut machen oder ob es das Richtige ist.
Bei uns Menschen ist das (meist) anders. Während wir an einer Arbeit sitzen, läuft unser inneres Radar auf Hochtouren. Mache ich das Richtige, brauche ich zu viel Zeit, sollte ich nicht etwas anderes tun, sollte ich nicht besser sein?
Essen, trinken, schlafen, schwimmen, Nest bauen, brüten, Nachwuchs großziehen, aufpassen, putzen und Fellpflege (wie ich gelernt habe, tun Enten das stundenlang). Das sind die Haupttätigkeiten von Enten.
Nur wie wissen sie, was sie wann und wie tun sollen?
Warum benötigen sie keinen Plan, keine Strategie, keine To-do-Liste? Und Menschen schon?
1. Enten machen das, was jetzt gerade ansteht.
Enten fließen mit dem Leben. Wenn es Zeit ist, ein Nest zu bauen, bauen sie ein Nest. Wenn es Zeit ist zu brüten, brüten sie. Wenn sie sich um die Kleinen kümmern müssen, tun sie das. Sie tun einfach das, was jetzt gerade zu tun ist. Ohne zu jammern, ohne zu grübeln, ohne zu zweifeln.
Wir Menschen wüssten auch ganz genau, was in jedem einzelnen Moment zu tun wäre. Denn die natürliche Intelligenz, die in den Enten eingebaut ist, besitzen auch die Menschen. Man nennt das: Leben.
Diese natürliche Intelligenz, innere Weisheit, von Moment-zu-Moment Intelligenz, Intuition, … – wähle den Begriff, der dir am sympathischsten ist – weiß ganz genau, was jetzt gerade zu tun ist und tut das auch: Pumpt Blut durch unser System, steuert die Körpertemperatur, entgiftet, regelt den Hormonhaushalt und vieles, vieles mehr.
Aber nicht nur das!
Sie gibt uns den ganzen Tag über Impulse, was jetzt der nächste Schritt wäre. Versorgt uns mit neuen, frischen Ideen. Hat das große Ganze im Blick und navigiert uns gekonnt durchs Leben.
Von diesem inneren GPS könnten auch wir uns leiten lassen und mit dem Leben fließen (denn dafür wäre es eigentlich gedacht), anstatt zwanghaft Punkte auf unserem Plan oder To-do-Liste abarbeiten zu wollen. Die eigentlich – wenn wir genau darauf blicken – nur getan werden, weil sie irgendwo stehen oder uns irgendwer gesagt hat, dass wir das tun sollen. Und nicht, weil es der logische nächste Schritt ist.
Jetzt denkst du vielleicht: Ja, das funktioniert vielleicht im privaten Bereich, aber im Business?!
Dazu ein Gedanke: Überlege ganz kurz, was diese Lebens-Intelligenz alles am Laufen hält. Und das ziemlich erfolgreich, immerhin besteht das Universum seit 13,8 Milliarden Jahren (also zumindest ist es das, was wir Menschen bisher wissen). Wenn es das schafft – was kann dann so schwer an einem, im Verhältnis dazu kleinen, Business sein?
Apropos denken:
2. Enten denken nicht darüber nach, ob sie etwas gut oder richtig tun.
Diese Enten, aber auch unser Hund und unsere Katze, alle Bäume, Blumen, Gräser, die in unserem Garten wachsen, denken in keiner einzigen Sekunde darüber nach, ob das, was sie gerade tun, gut genug ist oder das Richtige ist. Sie tun einfach.
Menschen hingegen können darüber nachdenken, was sie tun wollen, sollen oder müssen. Ob sie etwas gut, schlecht oder so lala machen.
Wir können ins Grübeln verfallen, Zweifel über uns und unsere Leistung hegen, uns selbst schlechtreden. Das alles können wir tun – und tun das auch ausgiebig.
Die Gabe des Denkens unterscheidet uns von den meisten anderen Lebewesen. Die Fähigkeit in die Zukunft zu denken, sich an Vergangenes zu erinnern, aber auch überhaupt die Möglichkeit einen Plan oder eine Strategie zu erfinden, sind Fertigkeiten, die wir Menschen besitzen.
Nur die meiste Zeit verwenden wir sie nicht als nützliches Werkzeug eingesetzt, sondern, um uns anzutreiben. Um besser und anders zu werden. Um etwas „richtig“ zu machen.
Und um etwas zu erreichen – wobei wir schon beim dritten Punkt sind:
3. Enten sind. Menschen wollen werden
Mittlerweile sind die Enten bereits über einer Stunde in unserem Garten, gerade liegen sie einträchtig nebeneinander und sind einfach. Es genügt ihnen Enten zu sein, es genügt ihnen hier in diesem kleinen Teich zu schwimmen. Sie wären nicht lieber Schwäne und sie würden nicht lieber im Meer baden. Sie sind was sie sind und das ist genug.
Menschen sind nicht einfach nur. Sie müssen etwas werden. Reicher, schöner, erfolgreicher, gesünder, fitter, jünger, älter, größer, kleiner, intelligenter, selbstbewusster, kreativer, lustiger, glücklicher – und tausende Dinge mehr.
Um dieses Ziel zu erreichen, erfinden wir Strategien und Pläne, mit denen die Erfolgsaussichten scheinbar steigen.
Was aber, wenn es gar nichts zu erreichen gibt?
Wenn es ok ist, so wie wir gerade sind und wir dann von diesem Standpunkt aus handeln.
Mit Freude, mit Hingabe, mit Begeisterung und mit Leichtigkeit.
Bei uns Menschen herrscht folgende Reihenfolge vor: Tun – Haben – Sein.
Tun wir etwas, dann haben wir etwas und erst dann sind wir etwas. Und da das aber selten reicht, tun wir noch mehr, um noch mehr zu haben, um irgendwann vielleicht doch auch mal wer oder was zu sein. Puh – welch‘ anstrengender Kreislauf.
Die Natur folgt da einem anderen Rhythmus: Sein – Tun – Haben.
Vorrangig ist alles einmal. Die Ente ist. Nicht mehr, nicht weniger.
Aus diesem Sein heraus handelt die Ente: Badet, frisst, baut ein Nest, hält Wache. Und irgendwann hat sie auch etwas: ein fertiges Nest, Küken, ein sauberes Federgewand und – überlebt.
Wir haben die Wahl
Wir Menschen sind so wunderbare Geschöpfe, von der Natur so unglaublich reich beschenkt. Aber anstatt dafür dankbar zu sein und dieses Dasein kreativ zu gestalten, erschweren wir unser Leben und machen es uns viel zu oft zur Qual.
Aber das wirklich Gute ist: Wir Menschen haben noch eine Gabe geschenkt bekommen: Wir können frei entscheiden und wählen.
Wir können in jedem einzelnen Moment wählen und entscheiden, ob wir uns mit dem Leben bewegen oder dagegen ankämpfen. Ob wir das Geschenk der Gedanken für oder gegen uns verwenden und ob wir mit dem zufrieden sind, wer oder was wir sind (oder eben nicht).
Gerade sind die Enten weggeflogen. Ob sie einen Plan haben, was sie als Nächstes tun?
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