Für viele Menschen geht mit dem Start in die Selbstständigkeit ein großer Wunsch in Erfüllung. Endlich können sie das tun, was sie immer schon tun wollten. Sie sind ihr eigener Chef, können kreativ und eigenverantwortlich arbeiten. Müssen sich nicht mehr an die Vorgaben anderer richten, sondern können tun und lassen, was immer sie wollen.
Soweit die Theorie. In der Praxis sieht das dann oft anders aus. Was als Traum begann, endet oft genug in einem Albtraum. Plötzlich tauchen Ängste, Zweifel und Unsicherheiten auf und die Entscheidung scheint gar nicht mehr so richtig. Wo am Anfang viel Enthusiasmus und Engagement war, herrscht plötzlich Schwere und Frustration.
Jetzt ist das an sich etwas zutiefst Menschliches, wenn wir Ängste und Zweifel erleben. Niemand von uns ist davor gefeit.
Allerdings können diese Zweifel und Ängste so überhandnehmen, dass sie tatsächlich zu einem Stopper im Business werden können.
Ich habe es bei mir erlebt und erlebe es immer wieder bei meinen Kund*innen.
Nur woher kommen diese Ängste und Zweifel?
Plötzlich war da nur noch Leere
In einem Coaching diese Woche kam dieses Phänomen zur Sprache. Meine Kundin, nennen wir sie Iris, ist seit 5 Jahren selbstständig und für sie ist tatsächlich ein Traum in Erfüllung gegangen, als sie endlich diesen Schritt wagte. Sie war voller Zuversicht und Tatendrang. Ihr Business war ihr „Baby“, mit dem sie Großes in der Welt bewirken wollte. Auch lief es am Anfang hervorragend. In absehbarer Zeit hatte sie erste Kund*innen und sie war in ihrem Element.
Doch irgendwann im letzten Jahr hat sich die Leichtigkeit verabschiedet. Auch wenn sie ihre Arbeit wirklich liebte, fühlte sie sich oft müde und ausgelaugt. Immer wieder verschob sie Projekte, auch jene, die ihr eigentlich viel Spaß machten und verbrachte stattdessen viel Zeit mit Netflix & Co.
Der Zweifel, ob sie für das Unternehmer-Dasein geschaffen sei, wurde immer größer und sie überlegte tatsächlich, ihre Selbstständigkeit an den Nagel zu hängen. Zwar wüsste sie nicht, was sie stattdessen tun sollte, aber da noch weiter Zeit, Geld und vor allem Energie zu investieren, lähmte sie noch mehr.
Wir machten eine kleine Denk-Aufgabe: Ich bat sie, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn sie kein Business mehr hätte.
Die Antwort, die sie gab, überraschte nicht nur mich, sondern auch sie. Sie meinte, einerseits würde sie sich zwar etwas erleichtert fühlen, weil der Druck abfallen würde.
Andererseits wäre da komplett Leere. Es wäre, als ob sie dann nicht mehr da wäre. Sie wüsste gar nicht, was sie tun solle. In den letzten Jahren war sie hauptsächlich damit beschäftigt, was sie in ihrem Unternehmen alles tun und wie sie eine bessere Unternehmerin werden könnte. Wenn das alles wegfallen würde, was bliebe ihr dann noch?
Zu starke Identifikation
Das, was Iris erlebt, widerfährt vielen Einzelunternehmer*innen, ganz gleich, ob sie neu am Start sind oder schon länger im Betrieb: Sie identifizieren sich so stark mit ihrem Business, dass es sich so anfühlt, als wären sie ein und dasselbe.
Und das macht auch Sinn. Selbst und ständig impliziert, dass alles, was in dem Unternehmen passiert, von ihnen abhängt. Dass sie selbst und ständig für den Erfolg verantwortlich sind. Dass sie authentisch sein sollen, sich uneingeschränkt einbringen müssen und ganz sie selbst sein sollen.
Allerdings besteht hier eine riesengroße Gefahr: Sobald Menschen sich mit einer Sache identifizieren, ganz gleich, ob es sich dabei um das eigene Business, einer Beziehung, der Mutter-/Vaterrolle, einem Job, dem Körper etc. handelt, verschwimmen die Grenzen.
Jeder Erfolg und auch Misserfolg sagt dann nichts mehr über die Sache aus, sondern gibt scheinbaren Aufschluss über die Person. Floppt ein Projekt, floppt die/der Unternehmer*in. Scheitert eine Beziehung, ist die Person unfähig. Sind die Kinder nicht mustergültig, ist man eine schlechte Mutter/schlechter Vater. Entspricht der Körper nicht den Vorstellungen, ist man keine attraktive Person.
Und wenn diese Sache (Business, Beziehung, Job, Kontostand, Körper, etc.) etwas über einen selbst aussagt, dann ist es verständlich, dass wir alles tun, damit wir immer besser werden und nur ja keine Fehler machen.
Es gibt Millionen Bücher und Kurse, die genau in diese Kerbe schlagen: Wie DU erfolgreicher, beliebter, schöner, reicher, besser oder sonst was, wirst.
Aber: Du bist NICHT dein Business!
Und: DU bist bereits gut genug!
Es spricht wirklich nichts dagegen sich in irgendeinem Fach mehr Kompetenzen anzueignen. Ganz viele der Angebote zielen jedoch darauf ab, dass DU besser wirst. Oder aber du kaufst dir einen Fach-Kurs oder ein Fach-Buch, damit du dir scheinbar neue Kompetenzen aneignest. Der eigentliche Antrieb (die Hidden Agenda) ist jedoch die Hoffnung, wenn du besser wirst, dann wirst du auch erfolgreicher, anerkannter, souveräner, etc.
Ich kenne so viele Unternehmer*innen, die sich noch diesen oder jenen Kurs kaufen müssen, damit sie ok und genug sind.
Aber DU kannst nicht besser werden. Denn DU bist bereits perfekt (auch wenn du das nicht glaubst oder es sich so gerade nicht anfühlt).
All diese Angebote richten sich an unser „Gedanken-Ich“, das ein imperfektes Bild von uns zeichnet. Ein Bild, das sich laufend verändert und ein Bild, das uns versucht einzureden, wir wären noch nicht gut genug. Da wir das glauben, versuchen wir uns ständig zu optimieren. Was aber, naturgemäß, nicht funktionieren kann.
Denn: Du bist kein Bild, oder?
Daher kann nur jeder Versuch, sich diesem Bild anzugleichen, scheitern.
Wer du tatsächlich bist
Kennst du das Gefühl, wenn du in einer Arbeit vollkommen versunken bist und dich im Flow befindest? Wenn ich mich in diesem Zustand befinde, dann habe ich das Gefühl, dass „Ich“ gar nicht vorhanden bin. Es gibt keine Zeit und keine Probleme. Es gibt nur das Tun, das sich entwickelt.
Meistens geht die Arbeit spielend leicht von der Hand. Das Tun passiert einfach und in diesen Momenten beschäftigen wir uns nicht mit dem Endprodukt, sondern sind ganz in der Sache versunken. Und sogar, wenn dieses Projekt schiefgehen sollte, fühlen wir uns erfüllt und bereichert.
Wer tut in diesem Flow-Zustand?
Genau.
Du!
In diesen Momenten bist du frei von den Filtern, Vorstellungen und Anforderungen des Gedanken-Ichs. Du kannst einfach sein, genauso wie du bist und tun, genau das, was du gerade tun möchtest. Es gibt keine Bewertung, keine Zweifel und keine Ängste. Du bist einfach.
Wir alle stolpern immer wieder in die Identifikations-Falle. Wir identifizieren uns mit dem Bild, das unser Verstand von uns zeichnet und in Folge mit einer Sache, die uns unglaublich wichtig erscheint. Sogar das ist perfekt, weil unser Verstand genau das tut, was er tun soll.
Wann immer du die Leichtigkeit und Freude bei einer Sache verlierst und stattdessen Stress, Druck, Zweifel und Ängste verspürst, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass du dich gerade mit deinem Business, einer Beziehung oder einem Ergebnis identifizierst.
Wir jedoch haben die Fähigkeit, dieses Spiel zu erkennen und uns aus dieser Identifikation zu lösen.
Du kannst dich immer wieder daran erinnern, dass du kein Bild in deinem Kopf sein kannst, dass dein Leben nicht von einem Ergebnis abhängt und dass du so viel mehr bist, als dein Business, eine Beziehung, eine Sache oder dein Körper.
Gelingt dir das, dann bist du frei von Identifikationen und absurden Vorstellungen. Du steigst ein in den Rhythmus des Lebens und erlebst dich selbst und deine Umwelt genauso perfekt, wie alles bereits ist.
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