Individualität - schwebebalken

Ich habe das Gefühl, durch die Globalisierung sind wir mehr und mehr zu einem Einheitsbrei geworden. Wir tragen dieselbe Mode, hören dieselbe Musik und kaufen dieselben Nahrungsmittel. Ganz gleich, ob wir uns in Wien, Miami oder Rio de Janeiro aufhalten, Red Bull, Nestle und Apple finden wir überall.

Kleine Läden in den Straßen sind verschwunden. Liebevoll gestaltete Grätzel. Jeder kennt sich und grüßt beim Vorbeigehen  Statt dessen übernehmen große, internationalen Ketten unsere Straßen. Sie versorgen uns mit allem, was wir benötigen (oder auch nicht). Unsere Möbel werden in Schweden produziert, unsere Handys in Korea und unser Gemüse in Spanien.

Globalisierung hat definitiv ganz viele Vorteile. Für mich bleibt aber unsere Individualität auf der Strecke. Unsere Eigenheiten. Das was uns ausmacht. Seien es die Eigenheiten eines Landes oder die jedes Einzelnen von uns.
Wir sind stark angepasst, tanzen nicht aus der Reihe und wollen jedem gefallen.

Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt.(Arthur Schopenhauer)

Ich muss wissen, was ich will

Allerdings, wie kann ich wissen, was meine Einzigartigkeit ist, wenn wir verlernt haben auf unseren Körper zu hören? Auf die vielen Stimmen in uns, auf unser Bauchgefühl. Dabei sind meine Stimmen, mein Bauchgefühl das Einzige, was mir sagt, was ICH wirklich will.

Das Bauchgefühl ist unser Unterbewusstsein. Es entscheidet in Sekunden, ob etwas angenehm oder unangenehm für uns ist. Unser Verstand ist der langsame Grübler. Denkt hin und her, wägt ab, nimmt auf alles Rücksicht. Aber erst der Bauch gibt den letzten Anstoß. Und auch wenn der „Bauch“, genau genommen unser Darm, Millionen von Nervenzellen hat, trifft letztendlich doch wieder unser Gehirn die Entscheidung.

[bctt tweet=“Meine inneren Stimmen, mein Bauchgefühl, sind die Einzigen, die wissen, was ich wirklich will. „]

Alles wird in Sekunden bewertet

António Damásio, ein Neurowissenschaftler, hat  entdeckt, dass eine präfrontale Region der Großhirnrinde für das Treffen von guten Entscheidungen verantwortlich ist. Hirnforscher gehen heute davon aus, dass das menschliche Denkzentrum über ein so genanntes „emotionales Erfahrungsgedächtnis“ verfügt.

Bereits vor der Geburt beginnt es zu arbeiten und speichert Erlebtes auf einer nicht sprachlichen, unbewussten Ebene. Dies passiert  in Form von Gefühlen oder Körperempfindungen. Dieses Gedächtnis ist auch Tieren zu Eigen.
Alles, was dort gespeichert wird, wird nach folgendem Prinzip bewertet: Haben wir uns bei der Erfahrung wohl gefühlt, wird es mit einem positivem Gefühl markiert. Waren die Gefühle allerdings negativ, erhalten sie ein schlechtes emotionales Etikett.
Bei jedem neuen Reiz, den wir erfahren, sendet der Körper innerhalb von Sekundenbruchteilen entweder angenehme oder unangenehme Signale aus – je nachdem, welche Bewertungen im emotionalen Erfahrungsgedächtnis gespeichert sind.
Stellen Sie sich vor, Sie beißen in eine Zitrone. Sie werden vermutlich das Gesicht verziehen, den säuerlichen Geschmack im Mund schmecken und das Bild schnell wieder verschwinden lassen wollen. In Sekundenschnelle hat Ihr Körper auf das reagiert, was in Ihrem Kopf vorgeht. Und dazu benötigten Sie nicht einmal eine echte Zitrone, die Vorstellung alleine reicht schon.

Warum ist das Bauchgefühl negativ besetzt?

Ein anderes Wort für Bauchgefühl ist Intuition. Intuition ist gefühltes Wissen, das sehr schnell im Bewusstsein ist, dessen Gründe wir uns aber nicht erklären können. Es ist aber keine Willkür, kein sechster Sinn oder eine göttliche Eingebung, sondern eine Form von unbewusster Intelligenz.

Intuition beruht auf sehr viel Erfahrung. Das sind einerseits selbst erlebte Erfahrungen, aber auch Erfahrungen unserer Vorfahren, die in unseren Genen gespeichert sind. Es sind unbewusste, automatisierte Abläufe, wie zum Beispiel gehen oder Auto fahren.
Wir leben in einem Zeitalter der Wissenschaften. Was großartig ist. Die Wissenschaft erklärt uns die kompliziertesten Dinge mehr oder wenig logisch. Und im Zeitalter der Technik. Unglaublich, was heute möglich ist, was noch vor 10 Jahren unvorstellbar war.
Aber natürlich funktioniert weder die Wissenschaft noch die Technik mit Bauchgefühl. Hier geht es um Studien, Statistiken, Zahlen und Fakten. Weder in der Wissenschaft noch in der Technik gibt es Emotionen. Und somit ist es hier auch nicht erlaubt, aus der Reihe zu tanzen und individualistisch zu sein.

Individualität versus Egoismus

Wenn ich über Individualität spreche meine ich nicht Egoismus.

Ich verstehe unter Individualität in sich hinein hören und das zu tun, was mit gut tut und was ich als sinnvoll erachte. ABER: Immer auch mit Rücksicht auf andere Personen. Wenn wir auf uns hören, müssen wir nicht andere Menschen ausbeuten oder Ihnen schaden.
Egoismus bedeutet für mich, seine eigenen Ziele um jeden Preis durch bringen, ganz egal, war dadurch zu Schaden kommt.
Oft ist es natürlich eine Gratwanderung. Da gibt es Anforderungen an uns – zu Recht oder Unrecht – die wir zwar erfüllen, wir aber innerlich merken, dass es uns nicht gut tut.
Ein kleines Beispiel: 

Meine Arbeit ist eine Belastung für mich. Ich habe viel zu viel zu tun, werde kaum fertig, es geht mir körperlich nicht gut. Ich schlafe schlecht, bin gereizt, habe wenig Freude. Es geht aber nicht nur mir so, sondern dem ganzen Team.

Egoismus: Ich mache ab nun Dienst nach Vorschrift, komme und gehe pünktlich und mache nicht mehr, als unbedingt notwendig. Dadurch geht es mir zwar besser, habe mehr Freizeit und längere Erholungsphasen. Meinem Team fällt allerdings mehr Arbeit zu, weil die Aufgaben erledigt werden müssen. Außerdem wird die Stimmung im Team immer schlechter, weil ich der Einzige bin, der so früh geht.
Individualität: Ich spreche mit meinem Vorgesetzten und erkläre ihm meine und die Situation des gesamten Teams. Ich gebe ihm klar zu verstehen, dass ich die Erwartungen, die er und das Unternehmen an mich haben, nicht mehr erfüllen kann. Mir ist meine Gesundheit wichtiger, ich möchte kein Burn Out erleiden. Wenn es nicht gelingt eine für alle zufriedenstellende Lösung zu erzielen, werde ich mich intern nach einer neuen Aufgabe umsehen oder aber sogar das Unternehmen verlassen.

Jede erfolgreiche Gesellschaft braucht ein gewisses Maß an Querdenkern und unkonventionellen Köpfen: Menschen, die sich gegen den Gruppendruck stellen und diesen kritisch hinterfragen. Denn die Vergangenheit zeigt, dass das, was der Mainstream als richtig, wichtig und wahr empfand, oftmals ziemlicher Blödsinn war.

Oder wie es Immanuel Kant etwas intellektueller ausdrückte: „Habe Mut, Dich deines eigenen Verstandes zu bedienen – auch dann, wenn Du keinen hast.“