Die Welt neu sehen, Silvia Chytil

Es ist wieder einmal Fastenzeit. Jedes Jahr suche ich mir einen Bereich in meinem Leben, in dem ich 6 Wochen lange der Abstinenz fröne. Meistens sind es Süßigkeiten, aber auch mal Alkohol oder die sozialen Medien. Manchmal geht es sehr leicht, manchmal kann es auch schon ein Kampf werden.

Dieses Jahr stehen Süßigkeiten, gesündere Ernährung und Verzicht auf abendlichen Snacks auf dem Programm. Vor einer Woche begann ich mit dem Fasten, merkte aber, dass ich nicht wirklich bei der Sache war und mir der Verzicht ziemlich schwerfiel. Immer wieder griff ich zur Schokolade oder naschte heimlich ein paar Nüsse am Abend.

Da ich aber wirklich etwas in meiner Ernährung verändern, ich aber auf diesen Zwang- und Disziplinkram verzichten wollte, brauchte ich eine andere Taktik. Und die kam prompt am Wochenende frei Haus geliefert. Ich saß am Abend im Wohnzimmer und es machte sich etwas Hunger breit. Das ist normalerweise der Startschuss, in die Küche zu eilen und zu einem kleinen Snack zu greifen. Plötzlich hatte ich einen Gedanken: Was, wenn ich keine Angst vor Hunger mehr habe? Was, wenn ich dieses Grummeln im Magen mag und mich darüber freue?

Und tatsächlich. Der Magen beschwerte sich noch kurz über die fehlende abendliche Zugabe, aber nach ein paar Minuten war Ruhe.

Viele unserer Tätigkeiten werden von Angst gesteuert

Angst vor Hunger ist möglicherweise kein großes Übel, aber wir unterschätzen komplett, wie sehr unser Leben und unser Business von Angst getrieben ist. Angst vor Stress. Angst, dass keine oder zu wenig Kunden kommen. Angst, die Ziele nicht zu erreichen. Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen. Angst, sich zu blamieren. Aber auch Angst vor Gefühlen. Vor Traurigkeit oder vor Wut, Angst vor dem Gefühl der Hilflosigkeit. Und es gibt noch tausend andere Gründe, wovor wir uns fürchten können.

Angst ist das ursprünglichste und normalste Gefühl überhaupt. Es sichert unser Überleben. Fight or flight sind die Reaktionen, die uns in einem enormen Stresszustand zur Verfügung stehen. Das Blut geht weg vom Kopf hin zu Beinen und Arme, damit wir entweder weglaufen oder kämpfen können. Die Fähigkeit klar zu denken, wird heruntergefahren, da wir in Extremsituationen nicht lange nachdenken sollen, sondern schnell reagieren.

Wie auch schon beim Hunger, kommen Situationen, bei denen es tatsächlich um Leben oder Tod geht, in unseren Breitengraden zum Glück kaum vor. Trotzdem reagiert unser Körper auf gefährliche Situationen immer auf die gleiche Art und Weise.

Wir haben kein zweites, abgeschwächtes Warnsystem. Eines, das uns sagt: Hey lauf, jetzt steht wirklich ein Tiger vor dir und ein anderes, weniger hysterisches, das sagt: Ok, ich denke, es steht ein Tiger vor dir. Da ist aber nicht wirklich einer, also entspann dich wieder.

Ganz gleich, ob wir uns tatsächlich in einer gefährlichen Situation befinden oder nur daran glauben – für unser Gehirn ist es dasselbe. Die Reaktion ist und bleibt: Angst!

Wir können unsere Gefühle nicht verhindern

Wir können nicht verhindern, dass unser System so reagiert. Aber: wir können uns entscheiden, ob wir das Spiel mitspielen oder nicht.

Eine Kundin von mir kämpfte am Anfang unserer Zusammenarbeit mit dem Gefühl der Traurigkeit. Immer wieder wurde sie davon übermannt, rutschte in ein Stimmungstief und hin und wieder flossen auch Tränen. Dieser stete Kampf machte sie müde, sie fühlte sich ausgepowert und ihr fehlte oft die Kraft, neue Dinge in Angriff zu nehmen. Sie wollte diese Traurigkeit unbedingt los werden.

Was bei ihr ablief ist ein konditioniertes Programm. Sie erlebte eine Situation und unbewusst war das der Startschuss für einen automatischen Ablauf. Sie begann zum Nachdenken. Warum immer sie? Warum nimmt keiner Rücksicht auf ihre Bedürfnisse? Warum ist die Welt so ungerecht? Wie kann sie sich mehr schützen? Was soll sie tun? Mit diesen Gedanken wuchs das Gefühl der Traurigkeit und die Gedankenspirale drehte sich weiter. Wie kommt sie aus diesem Kreislauf raus? Warum ist sie immer so traurig? Muss sie ihr ganzes Leben mit dieser Traurigkeit leben? Letztendlich war sie getrieben von der Angst, ihre Traurigkeit nie mehr loszuwerden.

Wir alle haben solche Programme in uns abgespeichert. Irgendwann hat unser System gelernt, auf bestimmte Gegebenheiten mit Traurigkeit, Wut, Ärger, Hilflosigkeit – Angst, zu reagieren und tut es fortan, wenn eine ähnliche Situation auftaucht. Diese Programme aufzulösen ist ein hartnäckiger und oft erfolgloser Kampf.

Was aber, wenn du diese Programme gar nicht auflösen brauchst?

Was, wenn jedes Gefühl, dass du gerade spürst, absolut ok ist?

Was, wenn du die Macht hast, selbst zu entscheiden, ob du auf ein Gefühl eingehen möchtest oder nicht?

Solange wir glauben, dass Angst oder ein anderes negative Gefühl etwas über uns aussagt, über unsere Leistung, unseren Wert, unsere Person – solange nehmen wir dieses Gefühl ernst. Wir sehen es als Warnung, als Alarmzeichen, als etwas, worauf wir reagieren müssen.

Vor allem aber sehen wir es als etwas, was wir nicht haben wollen. Wir glauben, ja wenn alles ok wäre, dann hätten wir dieses Gefühl nicht.

Aber das ist nicht richtig!

Denn so, wie unser Gehirn nicht unterscheiden kann zwischen dem Tiger, der vor uns steht und dem, an den wir nur denken, weiß unser Gehirn nicht, ob die Situation jetzt tatsächlich kritisch ist. Es fährt ein Programm ab, ganz gleich, ob wir in Gefahr sind oder nicht.

Wir sind frei in der Entscheidung

Wir sind jedoch in der Lage über den ersten Impuls drüber zu steigen, kurz inne zu halten und abzuwägen, ob jetzt tatsächlich eine Notlage besteht oder ob wir nur glauben, dass da was schiefläuft.

Sobald wir nämlich diesen Unterschied erkennen zwischen tatsächlicher Gefahr und einem Gedankenkollaps, übernehmen wir die Verantwortung und Kontrolle über unsere Reaktionen. Nicht über unsere Gedanken und Gefühle, denn die kommen und gehen, ohne dass wir viel Einfluss darauf haben. Aber wir können entscheiden, ob wir der Angst nachgeben und dem Automatismus folgen oder ob wir das Spiel unterbrechen.

Seit ich die Angst vor Hunger erkannt habe, habe ich trotzdem Hunger. Weil mein System eben dieses Hungergefühl produziert. Aber ich brauche darauf nicht zu reagieren. Ich brauche nicht in die Küche gehen und mich vor dem Hungertod retten. Ich kann einfach darauf warten, dass das Grummeln im Magen wieder vergeht.

Dasselbe gilt auch für das Business. Ich habe trotz des Wissens manchmal ein unsicheres Gefühl, wenn ich ein neues Projekt starte, aber es hält mich nicht mehr davon ab, mein Vorhaben zu Ende zu bringen. Ich lasse diese Angst einfach an mir vorbeiziehen und tu, was ich tun will. Trotz des Gefühls!

Zu erkennen, dass es ein Automatismus ist, bewahrt dich nicht davor, diese Gefühle oder Gedanken nicht mehr zu haben. Aber es bewahrt dich davor, dich immer wieder in denselben Abläufen zu verlieren.

Denn Angst oder ein anderes Gefühl ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass wir es unbedingt los werden wollen. Wir wollen es vermeiden. Aber das ist ein Kampf, den wir nur verlieren können. Es ist ein Kampf, der uns Kraft kostet, uns müde macht, uns verunsichert und hemmt.

Wir brauchen uns der Angst, Wut, Trauer, dieser negativen Gefühle nicht entledigen. Sie gehören zum Menschsein dazu.

Denn wir haben eine ganz andere Macht. Die Macht, den Kreislauf zu unterbrechen und uns nicht davon in schlechte Stimmung versetzen oder gar stoppen zu lassen.

Auch du hast die Fähigkeit, der Angst den Rücken zu kehren. Du kannst aussteigen, immer und jederzeit und das tun, was du gerne tun möchtest. Unabhängig der Gefühle, die du dabei empfindest.

Wenn du das für dich erkennst und das mehr und mehr in dein Leben und dein Business integrierst, dann erhältst du ein unglaubliches Gefühl von Freiheit und Leichtigkeit. Du bist nicht mehr deinen Ängsten hilflos ausgeliefert, sondern du entscheidest selbst, welchen du folgst und welchen nicht.

Alles Liebe