Gedanken-Ich, Silvia Chytil

Wie oft hast du das Gefühl, dass in dir zwei unterschiedliche Kräfte wirken? Das eine Ich will in die eine Richtung, das andere drängt in die entgegengesetzte. Gewinner ist meist jenes, das lauter schreit und mehr zehrt.

Aber warum ist das eigentlich so?

Ich glaube, das Universum hat uns einen kleinen Streich gespielt. Allerdings ist der so gut, dass wir ihn kaum entdecken.

Ich stelle mir das ungefähr so vor:

Vor Milliarden von Jahren überlegte sich das Universum, welche neue Kreatur es erschaffen könnte. Bisher gab es Galaxien, Planeten und Sterne. Auf einem Planeten namens Erde war ihm sogar das Wunder geglückt, Lebewesen zu erschaffen. Pflanzen und Tiere. Aber irgendwie war das noch zu langweilig. Das Universum wollte etwas ganz Besonderes erschaffen. Etwas was selbstständiger, produktiver, ideenreicher ist, als alles bisher Dagewesene. Ein Geschöpf, dass weiterentwickelt ist, selbst etwas erschaffen kann und die Erde zu einem noch außergewöhnlicheren Platz machen kann. Eigentlich ein Abbild von ihm selbst.

So war der Mensch geboren.

Und weil diese Kreatur etwas ganz Spezielles sein sollte, überlegte sich das Universum auch ein ganz besonderes Geschenk: Ein eingebautes Heim-Kino. So konnte sich der Mensch jederzeit seinen eigenen Film ansehen. Mal einen traurigen, mal einen lustigen. Nur das mitgelieferte Kino sollte wirklich außerordentlich gut werden. Die Filme sollten so realistisch wie möglich sein, mit ausgefallen Spezial-Effekten, so dass der Mensch gar nicht sofort merken würde, ob er sich gerade in der realen Welt bewegt oder sich einen Film ansieht. Es sollte sich so anfühlen, als ob der Mensch selbst Teil des Filmes sei, selbst mitspielt und das Gefühl bekommt, auch selbst noch Regie führen zu können.

Das wird ein Spaß! Das wird das perfekte Geschenkt.

Gesagt, getan! Der Mensch wurde erschaffen. Und das Geschenk wurde mitgeliefert.

Was das Universum allerdings nicht vorausahnen konnte war, dass der Mensch plötzlich den Film ernster nahm als die Realität. Dass er sich so sehr mit dem Film identifizieren würde und ständig damit beschäftigt war, den Hauptdarsteller des Filmes (sein vermeintliches Ich) zufrieden zu stellen.

Und so nahm das Unheil seinen Lauf.

Oder war das der Plan?

Vielleicht war es ja sogar so beabsichtigt. Vielleicht wollte uns das Universum auch testen, wie klug wir tatsächlich sind und wie lange es dauern wird, um den Witz zu erkennen.

Der kosmische Witz

Denn – das Leben ist ein Witz. Ein kosmischer Witz. Ja, wirklich. Eigentlich könnten wir den ganzen Tag durchs Leben gehen und lachen. Mal lauthals losbrüllen, mal eher kichern, aber doch zumindest mit einem Schmunzeln auf dem Gesicht unser Dasein genießen. Wir würden lachen. Über uns selbst und vor allem über das Universum, das uns einen Streich nach dem anderen spielt.

Aber leider. Wie es halt so mit Witzen ist. Solange wir ihn nicht verstehen, so lange finden wir ihn nicht lustig. Daher gehen die meisten Menschen mit einer Trauermiene durchs Leben. Und ihnen ist mehr nach Weinen, als nach Lachen.

Sie finden alles todernst und zum Fürchten, haben Angst, den Job zu verlieren, bleiben lieber in einer unglücklichen Beziehung als in keiner zu sein. Sie streiten mit dem Autofahrer, der zu langsam von der grünen Ampel wegfährt und verdonnern Kinder zum stillsitzen, damit sie etwas lernen, was sie nie wieder in ihrem Leben brauchen.

Derweilen könnte es so einfach sein. Wir könnten friedlich neben- und miteinander leben und würden auf uns, auf unsere Liebsten und auch auf die Umwelt aufpassen. Wir könnten die Dinge tun, die wir wirklich gerne tun wollen und jene bleiben lassen, die wir nur aus Pflichterfüllung tun.

Wir müssten nur endlich diesen verdammten Witz verstehen.

Das Gedanken-Ich©

Allerdings, was als Witz, als Spaß gedacht war, ist bei uns bitterer ernst. Zwar sagte schon Oscar Wilde „Das Leben ist viel zu wichtig, um es ernst zu nehmen!“, aber anstatt dieses unglaubliche Geschenk für uns zu nutzen, hat sich ein eigenständiges Wesen in unserem Kopf breit gemacht, das uns benutzt: Das Gedanken-Ich.

Es schubst uns hin und her. Tu dies, Tu jenes nicht. Strenge dich mehr an, sei lockerer. Wie kommst du auf die Idee, dass du schaffen könntest. Du bist ein Versager. Und so weiter und so fort.

Das Gedanken-Ich hat ein paar ganz spezielle Merkmale:

  • Eines steht für ihn fest. Es ist der Mittelpunkt des Universums und alles, was passiert, passiert wegen, gegen, für, durch oder mit ihm. Ganz gleich, was im Außen passiert, es hat einen unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Anwesenheit.
  • Sein Hobby: MEHR. Mehr Geld, mehr Anerkennung, mehr Liebe, mehr Klamotten. Hauptsache größer, schneller, besser – einfach mehr von Allem.
  • Es hat immer Recht. Ganz gleich was passiert, seine Meinung ist die einzig wahre und da das die Anderen nicht immer sofort erkennen, muss er dem Gegenüber seine Meinung lauthals kundtun und diese um jeden Preis verteidigen.
  • Es liebt Altes und Vertrautes. Neues ist ihm suspekt und wird auf alle Fälle mal misstrauisch beäugt. „Ich habe es doch immer schon so gemacht, warum soll ich da was ändern“, ist eines seiner Lieblings-Sprüche. Sollen sich gefälligst die Anderen an mich anpassen!
  • Es ist ihm gar nicht recht, dass es so viele andere Menschen auf diesem Planeten gibt. Denn immer wollen die was von ihm, lassen ihm keine Ruhe. Es könnte so ein schönes Leben haben, wären nicht die Anderen alle da. Oder würden die nicht immer etwas anderes wollen, als es selbst.
  • Es hält sich für das eigentliche ICH und hält damit seinen Besitzer ständig auf Trab. Gibt gute Ratschläge, mal einen Tritt in den Hintern, weiß immer, was es noch zu verbessern gibt und jammert und meckert immer herum. Nie ist irgendwas in Ordnung.
  • Es ist das geborene Opfer.
  • Es ist wie ein Vampir, denn seine größte Angst ist das Licht. In seinem Fall, dass sein Besitzer die „Erleuchtung“ bekommt und erkennt, was es tatsächlich ist: eine Illusion

Solange wir allerdings nicht erkennen, dass wir dieses Gedanken-Ich in unserem Kopf spazieren führen, übernimmt es in vielen Fällen die Herrschaft über uns. Wir identifizieren uns damit und glauben, das wäre unsere wahre Identität, unsere wahre Natur und wir versuchen alles, damit dieses Gedanken-ICH zufrieden ist. Damit es uns nicht stresst. Meistens haben wir mehr Angst vor den Ausbrüchen dieses ICHs, als vor dem, was sich tatsächlich in der Welt abspielt.

Kannst du es schon erkennen?

Natürlich können wir herzlich wenig gegen diese Illusion in unserem Kopf tun, denn so sind wir gebaut. Vor allem können wir es nicht verändern, managen oder kontrollieren. Aber es gibt doch etwas, was das Gedanken-Ich© gar nicht mag: Erkannt zu werden. Es ist eher scheu und gibt lieber aus dem Hintergrund seine Anweisungen. Wie ein Vampier scheut es das Licht.

Das Einzige also, dass wir als Besitzer dieses unsichtbaren Zwillings tun können ist, es ihn seine Schranken zu weisen und zu erkennen, dass es sich nur um ein Phantom in unserem Kopf handelt. Das mag im ersten Moment etwas eigenartig und ungewöhnlich sein. Aber je mehr du erkennst, dass dieses quengelnde, jammernde und nie zufriedene Ich nicht deine wahre Natur ist, desto leichter gelingt es dir, Dinge die in deiner Umgebung passieren, gelassener aufzunehmen. Und das Leben kann sich für dich so entfalten, wie es eigentlich gedacht ist: Als ein Wunder der Natur, eine Spielwiese für dich und ein unbeschreibliches Abenteuer. Wenn du das schaffst, überlässt du deinem wahren Ich die Führung – und das macht in jedem Fall mehr Freude und ist um einiges produktiver und kreativer, als es sich das Gedanken-Ich© jemals vorstellen könnte.

Wem du jedoch folgst, liegt an dir.
Denn deine Gedanken erzeugen deine Realität. Also wähle sie weise!

Alles Liebe