Vor einigen Jahren hatte ich ein neues Hobby entdeckt: Schwimmen. Jetzt musst du wissen, dass ich mein Leben lang nie gerne im Wasser war. Ich war zwar gerne am Wasser, aber weniger gerne im kühlen Nass. So konnte ich zwei Wochen am Meer verbringen, ohne auch nur ein einziges Mal drinnen geschwommen zu sein.
Umso mehr war ich über mich überrascht, als plötzlich der Gedanke hochkam: Ich möchte schwimmen lernen. Und zwar richtig. Mit Trainerin. Kraulen, mit richtiger Atmung und richtigem Bein-Kick. Ich verbrachte jeden zweiten Tag einige Zeit im Schwimmbad und übte, trainierte und schluckte viel Wasser.
Und noch etwas überraschte mich damals: Dass ich mich dem Lernprozess mit Hingabe und Neugier widme.
Früher war das nicht der Fall. Ich war davon überzeugt, dass ich schon alles können müsse, sobald ich mich damit befasste. Konnte ich etwas nicht auf Anhieb, war das für mich der Beweis, dass ich zu dumm dafür sei, dass andere mich auslachen würden und dass ich das sowieso nie lernen würde.
Irgendwann im Laufe des Erwachsenwerdens hatte sich bei mir der Glaube festgesetzt, dass ich alles können müsste. Und zwar perfekt. Sofort. Dass ich nichts mehr lernen bräuchte, sondern alles wissen und können müsste.
Was für ein absurder Gedanke!
Dadurch ergaben sich zwei Folgen:
- Erstens lernte ich viele Dinge nicht, die mich eigentlich interessierten. Zum Beispiel wollte ich Schauspiel Unterricht nehmen – aber … wie peinlich, wenn ich das nicht sofort kann. Oder ich wollte Sprech-Training nehmen. Aber wieder – wie peinlich, wenn ich nicht auf Anhieb alle mit meinem Können vom Hocker haue.
- Das zweite Problem, dass sich dadurch ergab: Ich entdeckte überall das Imperfekte. Und das war wirklich ein Problem, denn alles, was ich tat und auch im Außen wahrnahm, war, dass ich noch besser werden musste und dass alle anderen rund um mich entweder besser waren als ich oder aber auch voller Fehler waren.
Die ganze Welt war imperfekt und unvollkommen. Was für eine Welt…
Das reinste Chaos
Natürlich stand ich mit diesem Glauben nicht allein da. Wir wachsen damit auf, dass wir voller Fehler sind. Nicht das, was wir können, wird in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gelenkt. Nein, der Fokus liegt immer auf dem, was wir nicht können. Es geht nicht darum, sich dem Lernprozess mit Freude und Neugier hinzugeben, sondern einzig und allein, Fehler zu vermeiden. Mit welchen Mittel auch immer.
Was von dieser Erziehung überbleibt, ist ein sehr geschultes Auge für Fehler und Falsches. Und dem Wahn, dass alles perfekt sein muss.
Und dann gehe ich in die Natur und blicke mich um. Schiefe Bäume, unebene Böden, Früchte haben Dellen und Furchen, Pflanzen wachsen wild durcheinander. Keine Ordnung, alles ist ein heilloses Durcheinander. Das reinste Chaos!
Wo bitte ist die perfekte Welt?
Oder aber ist die Welt so perfekt, weil sie so schön imperfekt ist? Weil Leben ständig dazu lernt, Neues ausprobiert und Altes, nicht brauchbares einfach aus dem Sortiment wirft. Ohne ewig daran festzuhalten, ohne an sich zu zweifeln oder sich Vorwürfe zu machen, wenn es nicht sofort, beim ersten Mal funktioniert.
Zweifel ist der #1 Grund für Scheitern
Aber nicht nur beim Hobby oder „unwichtigen“ Dingen im Leben, tauchen Zweifel auf. Noch viel stärker plagt er uns in unserem Berufsleben. Weil es da ja – scheinbar – wirklich um etwas geht.
Bei einer Umfrage unter Selbstständigen auf die Frage: „Was ist die größte Angst, die dich daran hindert, zielgerichtet zu leben, zu arbeiten und dir selbst treu zu sein?“ haben über 70 % (!) geantwortet: „Die Angst nicht gut genug zu sein bzw. der Sache nicht gewachsen zu sein.“
Der Zweifel und die Angst „nicht gut genug zu sein“ ist der #1 Grund, warum Unternehmer:innen scheitern, nicht authentisch sind und nicht das Beste aus sich herausholen können.
Dieses Ergebnis war für mich tatsächlich ein Schlag ins Gesicht. Es ist besorgniserregend, wie viele Unternehmer:innen mit der Angst arbeiten, nicht gut genug zu sein. Und was ich noch schlimmer finde ist, dass es eine große Anzahl an Selbstständigen gibt, die sich nicht trauen, das auch zuzugeben.
Wir sind umgeben von erfolgreichen, entspannten und strahlenden Unternehmer:innen. Es ist die Ausnahmen, wenn jemand zugibt, Zweifel zu haben oder auch mal an einem Projekt gescheitert zu sein.
Diese Zweifel sind in vielen Fällen so normal geworden, wie ein Dauerrauschen im Hintergrund, dass viele gar nicht bemerken, dass sie es überhaupt haben. Sie leben mit den Ängsten, Sorgen und Zweifel und meinen, man könne nichts dagegen tun.
Gerade diese Zweifel sind es auch, die uns Stress und Druck bereiten und uns davon aufhalten, in die Welt zu gehen und uns so zu präsentieren, wie wir tatsächlich sind. Unperfekt perfekt.
Sie sind vorsichtig, wägen ab, wollen alles richtig machen, versuchen die Zukunft zu kontrollieren – nicht weil sie etwas nicht können. Nein, weil sie DENKEN, dass sie etwas nicht können.
Diese Erkenntnis war für mich erschreckend, weil dieses Denken für mich auch so lange Realität war.
Was aber wäre …?
Blicke ich auf meine Geschichte zurück, fällt mir erst jetzt auf, wie viele Dinge ich nicht gemacht habe, aus Angst, ich wäre nicht gut genug und müsste es eigentlich bereits wissen und können.
Und vielleicht geht es dir genauso.
Was möchtest du alles lernen oder können, aber traust dich nicht?
Oder du denkst, es ist verschwendete Zeit, Energie, Geld.
Du tust es nicht, weil du damit kein Geld verdienst.
Weil es keinen Zweck erfüllt, weil es dich nicht schöner, reicher, besser, berühmter, schlanker, erfolgreicher etc. macht.
Oder weil du dir denkst, du würdest dich blamieren oder wärst zu alt, zu jung, zu dick, zu dünn, zu groß, zu klein, zu ungebildet, zu undiszipliniert, zu unstrukturiert, zu chaotisch, zu … dafür.
Was aber, wenn Zweifel gar nicht das ist, was du denkst, was es ist? Wenn es eigentlich nur ein Missverständnis darüber wäre, wie unser Verstand funktioniert? Wenn es nur das Ergebnis davon wäre, dass du nicht erkennst, dass du immer nur einen Gedanken entfernt von vollkommener Zufriedenheit und Sicherheit wärst?
Wenn das wahr wäre und du eigentlich gut genug wärst, was würdest du dann alles tun?
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