Bevor wir selbst merken, dass wir im Flow sind, nehmen es andere an uns wahr. Unsere Augen leuchten, wir lächeln vor uns hin und gehen vollkommen in unserer Tätigkeit auf. Alles fließt. Das Rundherum nehmen wir kaum wahr. Lässt uns der Flow allerdings hängen, will er nicht und nicht eintreten, dann sind wir frustriert, genervt, vielleicht auch gestresst oder verärgert. Es gibt kein Patentrezept, aber es lohnt sich definitiv diesem Phänomen auf die Spur zu gehen. 

Ich sitze vor einem weißen Blatt Papier und möchte einen Artikel zum Thema Flow schreiben. Bereits zum dritten Mal beginne ich den Text und verwerfe ihn wieder. Es soll doch ein Artikel über Flow werden. Und keiner über Blockaden. Wobei ich darüber jetzt gerade ein ganzes Buch schreiben könnte.

Doch der herbeigesehnte  Flow will sich nicht einstellen. Warum eigentlich?

Ich mache mir noch schnell einen Kaffee und dann aber wirklich. Möchte den Text heute fertig machen. Mein Terminkalender ist voll – habe wirklich noch mehr als genug zu tun.

Also – Flow….

Eines stelle ich gerade fest. Flow funktioniert nicht, wenn wir ihn uns wünschen. Ein sturer, sehr eigenwilliger Zeitgenosse. Kommt und geht, wie es ihm gerade passt. Hält sich nicht an Regel oder Zeiten. Ist nicht zur Stelle, wenn wir ihn ganz dringend benötigen. Lässt sich nicht einmal bitten oder bestechen.

Wir können ihn nicht sehen. Er hört nicht auf unser verzweifeltes Rufen. Er erscheint auf leisen Sohlen und kaum wollen wir ihn fassen, ist er auch schon wieder weg.

Was also ist Flow?

Vor einigen Jahren schrieb ich an einer 100-seitigen Arbeit. Der Anfang war zäh, wie jedes Projekt, das noch in den Kinderschuhen steckt. Es dauerte eine Weile, bis ich in die Gänge kam. Ich hielt mich an ein festes Ritual. Zu meinem morgendlichen Kaffee machte ich mir Notizen über den ungefähren Inhalt und den Aufgaben des jeweiligen Tages. Dann setzte ich mich vor meinen Computer und begann zu schreiben. Und schrieb und schrieb und schrieb.

Zumeist war es bereits Mittag, mein Magen knurrte, als ich wieder auf die Uhr blickte. Die Zeit dazwischen war verflogen. Ich war praktisch nicht anwesend. Es war, als ob jemand Anderer die Kontrolle übernahm und ich nur meine Finger zur Verfügung stellte, die fleißig über die Tastatur huschten. Und so ging es über zwei Wochen lang. Die Arbeit wuchs und wuchs.

Jeden Abend freute ich mich auf den nächsten Tag. Wusste ich doch nicht, was er bringen würde. Jeder Tag war eine Überraschung, mit einem Ergebnis, das ich so nicht vorhersehen konnte. Fast wie ein kleines Kind, am Abend vor Weihnachten. Nur, dass ich dieses Gefühl zwei Wochen lang genießen konnte. Eigentlich war ich enttäuscht, als die Arbeit fertig war. Der Vorgang des Entstehens war für mich ein großartiges Erlebnis, eine beeindruckende Erfahrung.

Ein anderes Wort für Flow

Diesen Zustand, den ich damals durchlebte, nennen wir gemeinhin Flow. Ich nannte es nicht so. Wahrscheinlich kannte ich den Namen damals nicht einmal. Ich benannte es gar nicht. Ich konnte nur das Gefühl benennen, das mich damals durchzog. Es war Glückseligkeit.

Es war ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit und Dankbarkeit. Da gab es keine Schwere. Alles war leicht und floss. Es gab ein Endziel. Aber der Weg dorthin war nicht definiert. Ich erlebte Überraschungen, AHA-Momente, musste hin und wieder auch paar Schritte zurückgehen. Aber die Leichtigkeit trug mich durch die Arbeit.

Was mich damals so sehr faszinierte und heute noch tut, wenn ich in den Flow komme, ist dieses Gefühl des Entstehens, ohne mich dabei anzustrengen. Es passiert einfach. Oft genug investiere ich sehr viel Zeit, aber aufhören kommt nicht infrage. Ich muss dranbleiben, bis es für mich vollendet ist. Meine Familie kennt diesen Zustand mittlerweile. Es sind jene Momente, in denen ich mit „mhm“, „ja ja“ antworte, kaum von meiner Arbeit aufblicke und in Nachhinein keinen blassen Schimmer vom Gespräch mehr habe.

Flow auf der Flucht

Während Flow nichts ist, was wir herbeizaubern können, gibt es doch einige Punkte, wie wir ihn garantiert verhindern.

  • Fokus liegt hauptsächlich am Ergebnis.
  • Das Tun wird ständig mit kritischem Auge überwacht.
  • Das Vertrauen in den kreativen Prozess fehlt.

Eigentlich ist Flow unser ganz natürlicher Zustand. Da wir jedoch in einer hektischen Welt leben, in der es vor allem darum geht, irgendwas zu erreichen – und das möglichst schnell – wurde Flow zu einem Ausnahme-Zustand.

Flow benötigt ganz bestimmte Umstände. Er benötigt Raum, Zeit und innere Ruhe. Er verabscheut starre Regeln, rigorose Pläne und übertriebene Erwartungen. Kontrolle ist sein natürlicher Feind.

Sobald der Flow weiß, dass er nur 30 Minuten Zeit hat und ein bestimmtes Ergebnis abliefern muss, rafft er sich erst gar nicht auf.

Wo Kreativität verboten wird, kann Flow nicht entstehen.

Wenn ich zurückdenke, stelle ich fest, dass bereits in der Schule und in vielen Unternehmen, in denen ich früher arbeitete, Flow gar nicht erwünscht war.

Neue Ideen wurden im Keim erstickt – wir haben das immer schon so gemacht. Großartige Lösungen für Kunden nicht realisiert – wer soll das bezahlen. Kreative Konzepte nicht ausgearbeitet – dafür haben wir keine Zeit.

Da mag es nicht weiter verwundern, dass die Menschen, die in so einem Umfeld arbeiten, frustriert Dienst nach Vorschrift betreiben und die Zufriedenheit und Motivation auf der Strecke bleibt.

Wenn die Muse küsst

Heute weiß ich um den Zustand der Glückseligkeit und sie ist mittlerweile eine Maßeinheit für mich geworden. Für gewisse Dinge möchte ich in den Flow kommen, sonst ist das Ergebnis nicht optimal. Dann ist es nicht rund, die Arbeit hat noch zu viele Ecken und Kanten. Dann muss ich nachbessern, was allerdings niemals so großartige Ergebnisse bringt, als wenn es in einem Guss (im Flow) entsteht.

Um dies zu erreichen, gebe ich mir heute für fast alle Dinge, die ich produziere, Zeit und Raum. Sei es ein Blog-Artikel, ein Programm, ein Video oder auch ein Workshop. All diese Dinge dürfen in Ruhe entstehen. Ich lasse sie passieren. Gebe die Kontrolle ab. Setze mich nicht unter Druck. Und entwickle damit meinen eigenen Freiraum.

Für das Schreiben eines Artikels zum Beispiel verwende ich die ersten zehn bis fünfzehn Minuten fürs reine „darauf los schreiben“. Da entstehen keine ganzen Sätze, oft hat es noch nicht mal wirklich mit dem Thema zu tun. Gedanken dürfen kommen und wieder gehen. Ich schreibe alles auf, was in meinem Geiste herumschwirrt. Mache meinen Kopf frei. Wärme mich auf.

Und irgendwann, wie aus dem Nichts, besucht mich meine Muse und übernimmt die Führung.

Dann fließt es, dann läuft es, dann ist alles plötzlich ganz einfach. Und das sind jene Momente, die den Genius in uns wecken und Arbeiten produzieren, die einfach nur genial sind. Nicht immer, aber immer öfter.