Die Welt neu sehen, Silvia Chytil

Wovor ich am meisten in meinem Business Angst habe? Vor dem Leiden.
Wovor ich am meisten in meinen Beziehungen Angst habe? Vor dem Leiden.
Wovor ich am meisten in Begegnungen mit anderen Menschen Angst habe? Vor dem Leiden.

Nicht vor dem Schmerz, nicht vor Kränkungen oder Enttäuschungen. Nein, vor dem Leiden.

Was ist dieses Leiden? Dieses Leiden zieht mich hinunter. Es breitet sich ganz langsam in meinem ganzen Körper aus, nimmt jede Faser von mir Besitz. Ich bekomme dann das Gefühl alleine auf dieser Welt zu sein. Wertlos. Ungeliebt. Ich habe das Gefühl die Last der ganzen Welt liegt auf meinen Schultern.

Als ich einmal mit meinem Coach darüber gesprochen habe, sagte er – es gibt kein Leiden. Was bitte meint er damit? Natürlich gibt es das Leiden. Ich spüre es doch immer wieder.

Gerade jetzt wieder. Ein Freund gibt unbedacht eine blöde Bemerkung von sich. Eine Bekannte verbessert mich in einem Gespräch. Das reicht für mich, um zu leiden. Das ist doch absurd.

Aber genauso passiert Leiden. Aus Nichtigkeiten. Nichtigkeiten, die sich in unserem Kopf festsetzen und uns nicht mehr loslassen. Nur wegen solchen Banalitäten zu leiden, das kommt sogar mir albern vor.

Was wäre, wenn ich diese Vorfälle an mir vorbeiziehen lasse? Oder darüber lache? Oder sie ignoriere?

Ich kann ganz viele Stimmen in meinem Kopf hören, die sich in diesem Moment mit den vielen Stimmen im Außen verbrüdern und verschwestern : Du hast doch dieses Gefühl, das kannst du nicht einfach ignorieren! Das musst du ernst nehmen!

Muss ich das wirklich?

Muss ich tatsächlich irgendwelche Aussagen, die Menschen in meiner Umgebung machen, ernst nehmen und tiefer und tiefer in mich lassen? Ist das nicht viel ungesünder für mich, als wenn ich es einfach an mir vorbeiziehen lasse?

Aber natürlich funktioniert das einfache vorbeiziehen lassen nicht. Denn das fühlt sich REAL an. Das ist nicht nur ein Gedanke. DER will mir wirklich was sagen?

Nur was?

Ich merke, dass mich dieses „Leiden“ müde macht. Es raubt mir Energie. Es zieht mich hinunter. Während die Menschen, die in meinen Gedanken für dieses Leiden verantwortlich sind, ihres Weges gehen und sich wahrscheinlich nicht mal bewusst sind, was sie bei mir auslösen, leide ich weiter.

Schauen wir uns doch mal die wahre Natur von Leiden an.

Leiden entsteht, wenn wir einen Schmerz, den wir empfinden, nicht loslassen oder akzeptieren können. Wenn wir daran festhalten oder ihn unbedingt weg haben wollen. Nicht aus jedem Schmerz entsteht Leid. Jedoch jedem Leid geht ein Schmerz voran.

Wenn ich mich am Feuer verbrenne, empfinde ich Schmerz. Zu Leid wird es, wenn ich mir immer wieder überlege, warum ich mich verbrannt habe, warum jemand anderer dieses Feuer gelegt hat, was ich alles tun muss oder soll, damit mich die Verbrennung nicht schmerzt.

Die Aussagen anderer Menschen kränken mich manchmal. Das Leid entsteht nicht, weil ich dadurch Kränkung fühle, sondern weil ich entweder
– Wissen will, warum mich das kränkt oder
– Ich nicht möchte, dass es mich kränkt oder
– Ich wissen möchte, was die Aussagen oder Taten über mich oder die Beziehung zwischen uns aussagt.

Ich dachte, jetzt wo ich doch soviel weiß und gelernt habe, da darf mich so etwas nicht mehr kränken. Da muss ich drüber stehen. Da zieht das einfach an mir vorbei.

Tatsache aber ist: Ich bin ein Mensch. Ausgestattet mit Gefühlen und Emotionen. Manchmal kränken oder verletzen mich Aussagen. Aber gar nicht weil Andere mich verletzen wollen, sondern weil ich es als Kränkung oder Verletzung auffasse. Und das ist ok so. Wir alle haben unsere inneren Bewertungen und Alarmanlagen, die anschlagen, wenn wir glauben, dass irgendetwas gegen uns läuft.

Das „Problem“ ist nicht, dass wir uns verletzt fühlen. So ist unser System gebaut. Wir fühlen, was wir denken.

Anstrengend und zum Leiden wird es, wenn wir das Gefühl nicht haben wollen. Wenn wir gegen das Fühlen ankämpfen.

Aber Gefühle sind nicht schlecht oder verkehrt, ganz gleich ob positive oder negative. Sie gehören zu unserem Mensch-Sein dazu. Wir sind keine Weicheier, nur weil wir uns verletzlich fühlen und zeigen. Ganz im Gegenteil. Wir werden zu einem „Nicht-Mensch“, wenn wir solche Gefühle vermeiden wollen. Wir werden hart und ungerecht, zu uns und zu Anderen.

Ja, manchmal tun Gefühle wirklich weh. Wir können sie im ganzen Körper spüren. Wir zweifeln dann an uns, unseren Fähigkeiten oder unseren Beziehungen. Und ja – wir wären sie gerne schnell wieder los, denn lachend durchs Leben tanzen fühlt sich lustiger an.

Aber manchmal braucht es einfach auch das negative Gefühl – warum auch immer. Ich glaube nicht, dass wir da irgendwas lernen müssen, sondern unsere Stimmungen und Gefühle schwanken einfach. Ist so. Bleibt so. Und geht vorüber.

Wir brauchen nicht analysieren, hinterfragen, tadeln, zweifeln, verändern, managen. Nein, wir dürfen auch die negativen Gefühle willkommen heißen und spüren.

Und wenn ich mich wieder darauf besinne, dann passiert etwas Eigenartiges: Je mehr ich sie einfach akzeptiere, umso schneller verabschieden sie sich wieder.

Weil das die Natur unserer Gefühle sind. Sie kommen, um auch wieder zu gehen.

Alles Liebe