Es war ein trüber Tag. Die Wolken waren dunkelgrau und hingen tief in die Stadt hinein. Ich saß in meinem Lieblingseck, eingekuschelt in eine warme Decke.
Meine Stimmung war auch grau, angepasst an das unwirtliche Wetter. Wie so oft grübelte ich über ein und dasselbe Thema nach. Was kann ich tun, um meinen Umsatz anzukurbeln? Liegt es an mir? Ist die Selbstständigkeit vielleicht nichts für mich? Mache ich was falsch? Wenn ja, was?
Solche Situationen erlebte ich früher am laufenden Band. Nicht nur bei grauem Wetter, auch bei Sonnenschein. Nicht nur in meinem Lieblingseck, auch beim Spazierengehen, Einkaufen oder während ich mich mit anderen Personen unterhielt.
Dieses Problem war für mich so präsent, dringlich und real, dass es unglaublich viel Zeit und Energie beanspruchte. Ich hatte regelmäßig das Gefühl, in meinem Gedanken-Karussell gefangen zu sein, ohne zu wissen, wie ich da wieder herauskommen oder es anhalten könnte.
Aber natürlich war es nicht immer da. Es gab sehr wohl Momente, in denen ich mir nicht den Kopf zermarterte. Zum Beispiel, wenn ich mit meinen Kund*innen arbeitete oder an einem spannenden Projekt. Auch, wenn ich mit meinen Freund*innen viel Spaß hatte und mir vor lauter Lachen der Bauch weh tat, gab es dieses Problem nicht.
Es hat viele Jahre gedauert, bis ich erkannte, dass es zwei unterschiedliche Arten von Problemen gibt: Jene in meinem Kopf, über die ich viel nachdachte. Und jene, die unmittelbar vor mir waren. Das eine sind Gedanken-Probleme, das andere echte Probleme.
Folgende 4 Merkmale verwende ich heute als Unterscheidungskriterien:
1. Jede(r) in dieser Situation hat das Problem
Kennst du das? Du erzählst jemandem deine Situation, aufgewühlt, wütend, sorgenvoll. Und von deinem Gegenüber bekommst du nur einen verwunderten Blick und die Frage: Und wo ist jetzt das Problem?
Hä? Wie bitte? Siehst du das nicht? Das ist wirklich ein Problem, wie kannst du das nicht sehen???
Nein, tut mir leid. Ich sehe das Problem nicht.
Erhältst du so eine (oder ähnliche) Reaktion, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass du dich gerade mit einem Gedanken-Problem beschäftigst.
Gibt es nämlich ein echtes Problem zu lösen, dann ist es für alle Menschen in dieser Situation dasselbe Problem oder dieselbe Herausforderung. Niemand würde vor einem brennenden Haus stehen und zu dir sagen – während du verzweifelnd versuchst das Feuer zu löschen – ja, und wo ist jetzt das Problem?
2. Das Problem lösen, ist der sinnvollste nächste Schritt?
Bricht in unserem Zimmer ein Feuer aus, haben wir nur eines im Sinn: Das Feuer löschen. Uns käme nicht in den Sinn, vorher noch einkaufen zu gehen, einen Brief zu schreiben oder über eine Marketing-Strategie nachzudenken.
Nein, der nächste sinnvollste Schritt ist, das Feuer zu löschen. Es gibt nichts anderes zu tun.
Ist das Auto kaputt, lassen wir es reparieren. Schneiden wir uns, legen wir einen Verband an. Gab es einen Unfall, schauen wir, ob es Verletzte gibt und wie wir ihnen helfen können.
Bei einem Gedanken-Problem sieht das anders aus. Stellen wir uns in Gedanken ein Drama vor, können wir trotzdem nebenbei einkaufen oder einen Brief schreiben. Wir können alles Mögliche nebenbei tun, während das Problem in unserem Kopf mal größer, mal kleiner wird. Je nachdem, wie viel wir gerade darüber nachdenken.
3. Ein echtes Problem bleibt bestehen, ganz gleich, ob wir darüber nachdenken oder nicht. Und es löst sich auch nicht von allein wieder.
Stell dir vor, du lässt dir in der Badewanne ein warmes Bad ein, plötzlich läutet das Telefon, eine Freundin erzählt dir eine wichtige Geschichte. Du bist so in diesem Gespräch gefesselt, dass du ganz auf das laufende Wasser vergisst.
Frage: Läuft das Wasser über, ganz gleich, ob du daran denkst oder nicht? Und kann sich dieses Problem – Wasser läuft literweise auf den Fußboden – von ganz allein wieder lösen?
Während meiner Zeit als Projektmanagerin machte ich mir zur Gewohnheit, E-Mails, in denen unglaublich dringende Probleme beschrieben wurden, mal ein wenig abliegen zu lassen. Ich wartete darauf, ob sich der oder die VerfasserIn nochmals meldete oder ob sich das Problem auf seltsame Weise von ganz alleine wieder gelöst hatte. Und zu meiner Überraschung, war das beim Großteil der Fall.
Ein tatsächliches Problem löst sich nicht einfach in Luft auf und es besteht auch dann, wenn wir nicht darüber nachdenken. Ein Gedanken-Problem wiederum besteht nur dann, wenn wir darüber nachdenken und ausschließlich dann.
4. Bei einem tatsächlichen Problem wissen wir, was zu tun ist – und tun das auch.
Als mein Sohn klein war, brachten mich Alltags-Dinge des Öfteren in Rage. Seine Schulsachen waren nicht gepackt, seine Hausaufgaben zu spät erledigt, einen (scheinbar wichtigen) Termin vergessen. Das waren Probleme, die mir schon mal den Schlaf raubten.
Das Spannende jedoch war, tauchte ein großes Problem auf, war ich die Ruhe selbst. Als er sich einmal bei einem Sturz übel verletzte und eine tiefe Wunde auf seiner Stirn klaffte, wusste ich ganz genau, was zu tun war. Ich musste nicht lange überlegen und Möglichkeiten abwägen. Ich schnappte ihn und fuhr ins Spital.
Stehen wir einem echten Problem gegenüber, wissen wir ganz genau was zu tun ist. Unsere eingebaute innere Intelligenz navigiert uns gekonnt durch schwierige Situationen. Alles in uns ist auf das Problem fokussiert und die vorrangigste Aufgabe ist es, dieses zu lösen. Und das tun wir auch.
Probleme im Kopf durchzuspielen, macht manchmal Sinn und kann viel Spaß bereiten. Zu Stress und Druck führt es, wenn wir nicht mehr zwischen Gedanken-Problem und echten Problem unterscheiden (können). Das Gedanken-Problem kann ungemein real aussehen, im ersten Moment kommen wir gar nicht auf die Idee, es könnte sich ausschließlich in unserem Kopf befinden.
Die vier Merkmale helfen uns, aus dem selbst gebauten Gedanken-Karussell wieder auszusteigen, in dem wir unbeabsichtigt Platz genommen haben.
Wenn du es für dich nicht klar unterscheiden kannst, ob du dich mit einem Gedanken- oder einem echten Problem beschäftigst, dann stelle dir folgende Fragen:
- Hätte jeder Mensch in dieser Situation (und wirklich jeder) dasselbe Problem oder gibt es Personen, die dazu sagen würden: Wo ist das Problem?
- Hat das Lösen des Problems absolut vorrangige Priorität oder kannst du, während du im Kopf das Problem durchkaust, sehr wohl noch etwas anderes tun?
- Gibt es die Möglichkeit, dass sich das Problem von allein löst? Bleibt es weiterhin bestehen, wenn du nicht daran denkst oder eine andere Sichtweise darauf hättest? Oder ist es da, ganz gleich, ob du daran denkst oder nicht?
- Ist es ein Problem, bei dem es eine klare Lösung gibt oder verhält es sich eher wie eine Wunderkerze: Sobald eine Lösung gefunden wird, flackert es im nächsten Moment in anderer Form wieder auf.
Je öfters du dir diese Fragen stellst und genauer hinterfragst, was sich da in deinem Kopf abspielt, umso öfters erkennst du, dass es sich meistens um Gedanken-Probleme handelt, die dir Energie und Schlaf rauben. Hast du das mal erkannt, lösen sich viele, scheinbar wichtige Probleme, wie von Zauberhand, in Luft auf und dein Gedanken-Karussell kommt zum Stillstand.
Dann kannst du dich entweder den wirklich wichtigen Problemen widmen oder aber, wenn keines davon eines der 4 Merkmale aufweist, einfach nur den Tag genießen 😊
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