Vorige Woche war das Enkelkind unseres Nachbarn bei uns zu Besuch. Er ist ein 3-jähriges, quirliges kleines Bürschchen, der uns immer wieder zum Lachen brachte Als wir alle auf Terrasse saßen und ihm beim Spielen zusahen, konnten wir beobachten, wie sehr er sich in dem verlieren konnte, was er gerade tat. Manchmal war er so versunken, dass er gar nicht bemerkte, dass wir mit ihm sprachen.

Natürlich können wir jetzt sagen, ja, Kinder leben im Hier und Jetzt. Aber im Erwachsenen-Alter geht das nicht mehr. Da müssen wir vorausplanen, müssen organisieren und können uns nicht einfach dem Leben so hingeben.

Aber ist das tatsächlich so? Können Erwachsene nicht mehr im Hier und Jetzt leben? Was heißt überhaupt im Hier und Jetzt?

Viele Menschen verbinden mit „leben im Hier und Jetzt“ eine Form des Müßiggangs, des Nichtstuns. Sie sind davon überzeugt, dass sie viel zu viel zu tun hätten, als im Hier und Jetzt zu leben. Dass sie arbeiten gehen müssen, dass sie sich um die Familie kümmern müssen, den nächsten Urlaub planen. Da können sie nicht einfach nur so dahinleben.

Auch wenn ich meinen Kunden rate, sich bewusster auf das zu konzentrieren, was sie gerade tun, einfach im Jetzt zu sein, bekomme ich oft als Antwort: Ja, dafür habe ich aber keine Zeit. Ich muss das fertig machen und dann wartet schon die nächste Aufgabe auf mich.

Wenn wir im „Hier und Jetzt“ leben, haben wir oft dein Eindruck, wir würden nichts tun. Wir würden uns zwar einer Sache hingeben, aber eigentlich passiert nichts.

Aber stimmt das überhaupt? Denn aus meiner Sicht werden hier zwei ganz unterschiedliche Sachen vermischt. Denn was viele als „tun“ bezeichnen, ist vor allem „denken“.

Was ist der Unterschied:

Szenario 1:

Ein Manager sitzt in seinem Büro und arbeitet an einem Konzept für seine morgige Präsentation. Er sucht Informationen zusammen, telefoniert mit seinen Kollegen, tippt alles in seinen Computer. Während er an seiner Präsentation arbeitet, fällt ihm ein, was er noch seinem Chef am Nachmittag erzählen muss. Er macht sich dazu Notizen. Dann kommt ihm der Gedanke, dass seine Frau ihm in der Früh beim Frühstück etwas erzählt hatte, es schien wichtig, aber es fällt ihm jetzt nicht ein. Was war es doch gleich? Er ruft sie an und fragt sie. Dann arbeitet er weiter an seiner Präsentation, braucht aber eine Weile, bis er wieder den Faden aufgenommen hat. Dann ärgert er sich darüber, dass das Ganze so lange dauert und denkt „ich brauche dringend Urlaub“. In Gedanken geht er mögliche Destinationen durch. Als er merkt, dass seine Gedanken wieder abschweifen, zwingt er sich zur Präsentation durch. Und so geht es weiter und weiter und weiter. Bis er endlich nach 4 Stunden die Präsentation fertig gestellt hat, hat er nebenbei noch seinen Urlaub geplant, das Meeting mit seinem Chef am Nachmittag strukturiert und mit seiner Frau über die Kinder gesprochen. Er fühlt sich komplett ausgelaugt und müde.

Szenario 2:

Ein Manager sitzt in seinem Büro und bereitet sich auf die Arbeit an seinem Konzept für seine morgige Präsentation vor. Zuallererst sagt er seiner Sekretärin, dass er in den nächsten 2 Stunden nicht gestört werden möchte, schaltet selbst sein Handy ab und legt seinen Fokus voll und ganz auf sein Konzept. Jeder Gedanke, der nicht zu diesem Thema passt, schiebt er auf die Seite oder macht sich nur ganz schnell eine Notiz, damit er wichtiges nicht vergisst. Mit der Zeit merkt er, dass er in einen richtigen Flow kommt, die Ideen für sein Konzept fließen nur so aus ihm heraus und nach zwei Stunden ist er zufrieden mit seinem Ergebnis und gut gelaunt, dass er alles so schnell erledigt hat.

Leben und Sein im Hier und Jetzt hat nichts mit „Nichtstun“ zu tun. Es hat auch nichts Spirituelles an sich, sondern bedeutet nur, dass wir das, was wir jetzt gerade tun, mit unserer ganzen Aufmerksamkeit tun. Das kann ein Konzept sein, ein Kunden-Gespräch oder auch der Spaziergang mit dem Hund.

Denn das, was wir glauben, was wir soviel tun, ist vor allem in Gedanken zwischen Vergangenheit und Zukunft hin und her springen. Was hat die Person gestern gesagt, was muss ich noch alles einkaufen, hat mein Ärger vielleicht etwas mit meiner Kindheit zu tun, wohin fahre ich auf Urlaub, voriges Jahr um diese Zeit war es nicht so heiß, was koche ich am Abend.

Das alles läuft die ganze Zeit in unserem Kopf ab und wir nehmen jeden Gedanken, der uns bewusst wird,  brav auf und beschäftigen uns damit. Das verbraucht Zeit. Das verbraucht Energien. Das stresst.

Ja, aber was soll ich tun, wenn ich ständig an etwas anderes denken muss?

Wir können nicht vermeiden, dass uns keine Gedanken durch den Kopf schießen, die nichts mit dem zu tun haben, mit dem wir uns gerade beschäftigen. Unser Gehirn produziert am laufenden Band irgendwelche Gedanken, ganz gleich ob sie mit der aktuellen Arbeit zu tun haben, mit unserer Zukunft oder unserer Vergangenheit. Wenn wir versuchen, das zu unterbinden oder zu steuern, haben wir schon verloren. Denn es ist nicht möglich. Wir haben keinen Einfluss, auf die Gedanken, die wir produzieren. Das macht unser Gehirn von ganz alleine.

Zu versuchen jeden Gedanken zu analysieren, wäre als wenn wir auf der Autobahn fahren und in jedes Auto hineinschauen, das an uns vorbeifährt. Wir tun es nicht, denn es würde uns von dem ablenken, was wir gerade tun. Nämlich mit unserem eigenen Auto fahren und schauen, dass wir die richtige Abfahrt nehmen.

Genauso wenig wie wir beeinflussen können, welches Auto an uns vorbeifährt, können wir also beeinflussen, welchen Gedanken wir denken. Wir allerdings können entscheiden, was wir mit den Gedanken tun. Ob wir sie aufnehmen, weiterdenken, uns darüber ärgern oder auch freuen. Oder ob wir die Gedanken einfach weiterziehen lassen.

Leben im Hier und Jetzt bedeutet also nicht „nichts zu tun“. Es bedeutet, sich weniger von herumschwirrenden Gedanken ablenken zu lassen und auf das zu fokussieren, mit dem wir gerade beschäftigt sind. Diese Form des Lebens ist energie- und zeitsparender und macht uns vor allem produktiver.

Wenn du das jetzt nicht glauben kannst, dann probiere es einfach aus. Was auch immer du gerade tust, lenke deine Aufmerksamkeit voll und ganz darauf und lasse aufkommende Gedanken einfach ziehen. Schau was passiert. Es könnte nämlich sein, dass du plötzlich viel mehr Freude an dem hast, was du gerade tust und dass es dir viel leichter und schneller von der Hand geht. Das alleine wäre doch schon einen Versuch wert, oder ????.