Vor einigen Jahren habe ich mich dem Wu Wei verschrieben. Wobei ich gar nicht wusste, dass es diesen Ausdruck überhaupt gab und welche Bedeutung er hatte. Was ich jedoch wusste, war, dass so, wie ich damals lebte und arbeitete keine Freude empfand und wenig Erfolg hatte, stattdessen sehr viel Druck und Stress in mir verspürte.
Es war wohl bei Sydney Banks, bei dem ich das erste Mal von „tun, ohne zu tun“ und „denken, ohne zu denken“ las. Es klang gut, hatte aber keine Ahnung, was er damit meinte. Denn wie sollte das auch funktionieren? Natürlich muss ICH tun, sonst passierte nichts. Und natürlich muss ICH denken, sonst würde nichts Intelligentes aus mir herauskommen.
Es klang aber so unglaublich spannend, dass ich es ausprobieren und herausfinden wollte, was es damit auf sich hatte. Und vor allem schien es mir als ein Ausweg aus meinem anstrengenden Leben zu sein.
Also versuchte ich ein Experiment. Ich, die alles perfekt machen wollte, ständig die Last im Nacken spürte, noch besser zu werden und noch mehr zu tun, machte eine Vollbremsung und tat: NICHTS.
Ich war jahrzehntelang so sehr in meinem Kopf gefangen, in Konzepten, Strukturen und Vorstellungen verstrickt, dass ich nicht mehr spürte, was ich eigentlich wollte oder was jetzt im Augenblick wirklich wichtig war.
Also saß ich in meinem bequemen Sessel, starrte aus dem Fenster und wartete auf einen Impuls.
Am Anfang kam nur innere Unruhe. „Du kannst das nicht tun, einfach nichts tun. Du musst produktiv sein und etwas leisten!“ hallte es in mir. Ich widerstand der Versuchung, aufzuspringen, zu meinem Computer zu eilen und irgendwas zu tun, nur damit ich die lauten Stimmen in mir zum Schweigen brachte.
Ich hielt dieses Unbehagen aus und wartete weiter. Und irgendwann kam er, der Impuls. Manchmal war es, mir etwas zum Trinken zu holen. Dann wieder die Idee zu einem Artikel, der dann spielend leicht aus meinen Fingern floss. Ein anderes Mal der Impuls einen Menschen anzurufen, mit dem ich schon lange nicht mehr gesprochen hatte.
Mehr und mehr gewöhnte ich mich daren, die ersten, dringlichen Gedanken und auch das damit verbundene unangenehme Gefühl, vorbeiziehen zu lassen und nur noch auf einen Antrieb zu hören, der tief aus meinem Innersten kam und von diesem heraus zu handeln.
„Nichts-Tun“ bedeutet nicht „nichts tun!“
Die wohl größte Angst, die ich bei diesem Experiment hatte und auch die, die ich von meinen Kund:innen immer wieder höre ist: Ja, wenn ich nichts tue, dann passiert doch nichts. Ich muss was leisten und Dinge gehören erledigt, das erledigt sich nicht von allein.
Ich kann diese Besorgnis so gut nachvollziehen, immerhin war es die Angst, die mich in der Anfangsphase dieses Experimentes immer begleitete. Ich sah mich eins mit der Couch werden, von der ich nur noch aufstand, um zu essen und mich ins Bett zu legen.
Dass diese Angst aber komplett unbegründet war, merkte ich erst viel später.
Denn Wu Wei stammt aus dem Taoismus und diese beiden Silben beinhalten das ganze Geheimnis der Lebenskunst des Tao. Übersetzt bedeutet es so viel wie „Nichttun“ oder „Nichthandeln“. Aber diese Übersetzung ist nicht ganz richtig. Vielmehr geht es um ein „nicht-handelndes Handeln“.
Dieser Zustand ist schwer zu beschreiben, aber, ich bin mir sicher, du hast dich schon mal im Flow befunden. Jener Zustand, in dem alles ganz leicht von der Hand geht. Wir tun, ohne uns anzustrengen. Viel mehr fließt es, wir vergessen Zeit und Raum, verschmelzen mit der Arbeit. Es scheint ganz so, als ob wir gar nicht wirklich tun, sondern das Tun wie von ganz allein passiert.
Das ist Wu Wei. Das ist handeln, ohne zu handeln. Es ist denken, ohne zu denken.
Es ist leicht, es ist fließend, es ist spielerisch, es ist mühelos. Ohne Kraftanstrengung, ohne Druck, ohne Stress. Wenn wir im Flow sind, dann verschwimmen die Handlung und der Handelnde. Es sind nicht zwei getrennte Dinge, sondern vielmehr ein Tanz im Gleichklang, harmonisch, rund und weich.
TAO – Die vergessene Lebens-Intelligenz in uns
Wir alle sind damit aufgewachsen, dass WIR etwas tun müssten, um Erfolg zu haben. WIR müssen uns mehr anstrengen, WIR müssen besser werden, WIR müssen ein Ziel erreichen.
Wir sind so sehr damit beschäftigt, uns beschäftigt zu halten und Probleme ausschließlich mit unserem Intellekt zu lösen, dass wir vergessen haben, dass es in uns noch eine zusätzliche Instanz gibt. Nenne es Lebens-Intelligenz, Intuition, innere Weisheit oder eben TAO.
Ganz gleich, welchen Namen du verwendest, es deutet auf jene Intelligenz hin, die uns atmet, unser Herz schlägt, den Blutkreislauf in Gang hält, den Stoffwechsel in Schuss hält, Wunden heilt, Bakterien bekämpft, und eine Million anderer Dinge in uns erledigt.
Mein Herz macht sich keinen Plan, wie es morgen schlagen soll. Es schlägt genauso, wie es der aktuelle Augenblick erfordert. Sitze ich entspannt im Sessel, schlägt es langsamer, laufe ich durch den Wald, schlägt es schneller. Es tut, was jetzt gerade zu tun ist.
Diese Lebens-Intelligenz benötigt keine To-do-Liste, auf der steht, wie es meine Wunde heilen soll. Sie macht sich auch keine Sorgen darüber, ob sie die Wunde, die ich mir möglicherweise nächstes Jahr zuziehen könnte, gut verheilen lassen kann.
Das alles passiert automatisch, ohne unser Zutun, ganz gleich, ob wir darüber nachdenken oder nicht. Diese Intelligenz arbeitet im jeweiligen Moment, ohne Gedanken an Zukunft oder Vergangenheit. Sie tut, was jetzt gerade zu tun ist.
Auch ganz viele Dinge des alltäglichen Lebens tun wir, ohne uns dabei anzustrengen. Wir gehen, ohne dass wir das Gehen „tun“ müssen. Gehen passiert automatisch. So wie Autofahren, Zähne putzen, trinken, schwimmen oder lesen. Wir haben das alle einmal erlernt und können es jetzt mit Leichtigkeit ausführen.
Aber auch bei der Arbeit erleben wir manchmal diese Momente. Wenn wir nach Stunden auf die Uhr blicken und uns wundern, wo nur die Zeit geblieben ist. Wenn wir so tief in eine Sache vertieft sind und sich ein Schritt nach dem anderen ganz von selbst zeigt und wir dieser Intuition folgen. Oder wenn wir an einem Projekt arbeiten und sich alle auftauchenden Probleme, wie von Geisterhand, auflösen.
Die wichtigste Zutat: Vertrauen
Mit all dem Stress, den wir im Business und Beruf erfahren und dem hektischen Alltag, scheint ein Leben im Gleichklang mit dem Fluss des Lebens unvorstellbar. Wir erkennen aber nicht, dass gerade unser Unvermögen, den Dingen ihren Lauf zu lassen, uns in diesen Stress, Druck und dieses Leid führt.
Wir dürfen die Hand vom Steuer nehmen und die Zügel an die Intelligenz des Lebens abgeben. Wir dürfen darauf vertrauen, dass wir im jeweiligen Moment die richtigen Entscheidungen treffen und die richtigen Handlungen setzen werden.
Gelingt uns das, tritt Fülle und Magie in unser Leben. Kreativität und Inspiration tauchen auf, weil sie auf dem Nährboden des „Nichthandelnden Handeln“ gedeihen. Wir sind zu Höchstleistungen fähig, erlangen Klarheit über unsere nächsten Schritte, sind motiviert und können uns mit Leichtigkeit mit anderen Menschen verbinden.
Handeln braucht dann keine Anstrengung mehr, sondern es passiert von ganz allein und leicht. Wir tun, wenn es etwas zu tun gibt und tun nicht, wenn es nichts zu tun gibt.
Wir sind nicht mehr ungeduldig, sondern erkennen, dass so, wie es gerade ist, genau richtig ist. Wir unterscheiden zwischen Gedanken-Problemen und echten Problemen, und lassen die ersteren an uns vorbeiziehen und lösen die zweiteren mit Klarheit und Zielstrebigkeit.
Wir flüchten uns nicht in Arbeit oder einer anderen Aktivität, um eine scheinbare Schwäche zu kompensieren. Sondern arbeiten um der Sache und des Vergnügens willen, nicht, um sie so schnell wie möglich hinter uns zu bringen.
Vielleicht mag das alles zu schön klingen, um wahr zu sein. Oder du denkst dir, dass das in unserer hektischen Welt nicht möglich wäre. Oder mit dem Job, den du gerade hast. Oder mit dem Wissen, dass du Geld verdienen musst, weil sonst deine Existenz bedroht wäre.
Und ich kann all diese Gedanken und Ängste nur zu gut verstehen, denn ich hatte sie alle.
Aber, wenn du beim Lesen der Zeilen in dir auch nur die kleinste Vermutung hegst, dass so ein Leben möglich wäre, dann reicht das schon. Auch, wenn du im Moment nicht weißt, wie das bei dir funktionieren soll,
Wenn du diesen Funken Hoffnung in dir spürst, dann wirst du dich selbst auf die Suche machen, diese Leichtigkeit des Handelns auch in dein Leben, dein Business und deinen Alltag zu bringen.
Die Leichtigkeit geht uns nicht aufgrund der Projekte, des Jobs, der Kund:innen, des Geldes oder sonstigen äußeren Umstände verloren.
Sondern aufgrund unserer Gedanken, die wir darüber haben. Unseren Erwartungen, Vorstellungen, Bewertungen und Konzepten, die wir rundherum aufbauen. Sie machen unser Handeln anstrengend und mühsam.
Jedes Mal, wenn es uns gelingt, uns davon zu befreien, folgen wir wieder dem TAO, der Lebensweisheit, die uns gekonnt, mühelos und leicht durch alle Turbulenzen des Lebens führt.
Wir brauchen nur darauf zu vertrauen.
Und vermutlich ist es das Einzige, was wir wirklich zu tun haben: vertrauen. Vertrauen darauf, dass uns das Leben ganz genau zeigt, was wir als Nächstes zu tun haben.
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