Business Coach, Silvia Chytil

Ich war Anfang 40, als ich vor unserem neu gebauten Haus stand und sich ein warmes, wohliges Gefühl in meinem Körper ausbreitete. „Ich habe alles erreicht, was ich mir jemals erträumt hatte“ schoss es durch meinen Kopf. Ich verdiente sehr gutes Geld, hatte einen Job, der mir Spaß machte, eine neue Beziehung mit einem wunderbaren Mann. Wir bauten ein Haus, genau dort, wo ich immer wohnen wollte, mein Sohn hatte sein Abitur gemacht und ich meinen Master abgeschlossen.

Alle meine Wünsche waren in Erfüllung gegangen. Wäre mein Leben zu diesem Zeitpunkt zu Ende gegangen, wäre es absolut ok für mich gewesen. Nichts war offengeblieben.

Aber ich wäre nicht ich, hätte ich mir nicht schon sehr bald ein neues Ziel gesteckt: Meine Selbstständigkeit. Und natürlich wollte ich nicht nur einfach selbstständig sein. Ich wollte erfolgreich selbstständig sein.

Und so stieg ich, ganz langsam, ohne dass es mir anfänglich bewusst war, wieder in mein altbekanntes Hamsterrad ein. Und rannte und rannte und rannte. Bis ich, wie schon so oft davor, vor Erschöpfung beinahe zusammenbrach.

Anfänglich verstand ich nicht, warum es mir schon wieder so schlecht ging, tat ich doch endlich das, was ich immer tun wollte. Ich hatte mein eigenes, kleines Unternehmen, arbeitete mit fantastischen Menschen zusammen und konnte mir meine Zeit selbst einteilen. Und Geld verdiente ich auch noch damit.

Also warum waren Frust und Stress schon wieder da?

Auf der Suche

Was ich damals nicht erkannte und es auch lange dauerte, bis es mir klar wurde, war, dass ich zwar meine äußeren Ziele erreicht hatte, ich innerlich aber weiter auf der Suche war.

Auf der Suche nach Anerkennung, Bestätigung, Leichtigkeit und dem Gefühl, dass ich ok bin, genauso, wie ich bin.

Das zufriedene Gefühl, dass ich damals vor unserem neuen Haus hatte, entstand nicht aus der Tatsache, dass ich und mein Leben ok waren, sondern aus dem Aspekt, dass ich alle meine Ziele erreicht hatte.

Nur diesen kleinen, feinen Unterschied erkennen wir in unserer Gesellschaft nicht wirklich. Von klein auf werden wir dazu erzogen, äußeren Zielen nachzujagen. Gute Noten, guter Job, ausreichend Geld, Haus, Beziehung, Kinder etc.

Und irgendwann einmal wird es zur Sucht. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wir werden süchtig nach Erfolgen, Kicks und Zielen. Wir suchen immer weiter, denn das, was wir haben, ist nicht genug. Es gibt immer noch mehr zu erreichen.

Dieses Jagen hört aber nicht bei äußeren Dingen auf. Erkennen wir nämlich, dass all dieses Zeugs uns nicht wirklich zufrieden macht, dann beginnen wir bei uns selbst. Denn wenn uns äußere Dinge nicht das Wohlbefinden bringt, das wir uns so sehr erhoffen, dann muss es wohl an uns liegen. Also reparieren, verbessern und optimieren wir uns. Oder zumindest versuchen wir es. Was natürlich auch nicht gelingt. Und bevor wir uns versehen, wird auch diese Selbst-Optimierung zu einer Sucht.

Nur wie können wir diese Suche und diese Sucht beenden?

Mangel oder Fülle?

Mit der Erkenntnis, dass wir ok sind. Eigentlich nicht nur ok, nein jeder von uns ist perfekt, genauso wie er/sie ist.

Ein sehr treuer Zuhörer unseres Podcasts Insights Inside hat das sehr treffend mit einer Metapher beschrieben: Getriggert von der Umwelt bestreben wir immer ein Schwan zu sein. Bis wir eines Tages einen Aha-Moment haben und uns klar wird, dass wir als Gans perfekt geschaffen wurden.

Leben wir unser Leben, dann können wir das immer aus zwei unterschiedlichen Annahmen heraus betreiben. Einerseits aus dem Gefühl des Mangels heraus. Um vollkommen zu sein, fehlt uns noch etwas. Also machen wir uns auf die Suche und probieren alle möglichen Dinge aus, um endlich das zu erhalten und zu erreichen, was wir uns so sehr wünschen.

Oder aber wir kehren es um und erkennen, dass es nichts zu erreichen gibt, weil alles, was wir uns aus unserem tiefsten Inneren wünschen, bereits da ist. Wohlbefinden, Zufriedenheit, Sicherheit, Anerkennung, Freude, innerer Reichtum, Liebe – das alles ist bereits in uns.

Manchmal findet dieses Erkennen in einem Bruchteil einer Sekunde statt und die Suche hört plötzlich auf. Wo vorher Mangel war, sehen wir plötzlich die Fülle, die uns umgibt. Das Leben ändert sich von einem Moment auf den anderen. Oder aber eigentlich gar nicht. Denn ob wir das Leben aus dem Standpunkt des Mangels oder dem der Fülle wahrnehmen, geschieht in uns und nicht im Außen.

Bei anderen Menschen erfolgt diese Klarheit schrittweise. Und diese Erkenntnis kann zuerst einmal eine Leere erzeugen.

So ist es mir ergangen und so erlebte ich es auch gestern in einem Strategie-Workshop mit ganz wunderbaren Unternehmerinnen.

Ich habe ihnen diese unterschiedliche Sichtweise in Bezug auf Strategie und auf Business vorgestellt. Dass wir entweder unser Business haben, um etwas zu erreichen. Das kann auch ein Projekt, ein Job, eine Beziehung, aber auch Geld, Status und vieles anderes sein.

Oder aber wir sind schon, was wir suchen und arbeiten von dort aus.

Diese Sichtweise hat bei allen sehr viel Erleichterung ausgelöst. Und doch stand eine Frage im Raum, die eine Teilnehmerin auch ausgesprochen hatte: Wenn ich nichts mehr erreichen muss, was mache ich dann?

Ich musste herzhaft lachen, denn diese Frage hatte ich erwartet. Sie tauchte in mir in der Vorbereitung zu dem Workshop auf und auch vor ein paar Jahren, als ich die Möglichkeit erkannte, dass die ganze Suche, die ich jahrzehntelang betrieb, eigentlich sinnlos war. Zumindest sinnlos in Bezug darauf, dass ich damit finden könnte, was ich suchte.

Ich kann auch sehr gut die mögliche Leere verstehen, die entstehen kann, wenn wir plötzlich nicht mehr tun müssen.

Wozu dann das Ganze?

Eine sehr berechtigte Frage. Wozu tun wir uns das alles an, wenn es eigentlich nichts zu erreichen gibt?

Warum blüht eine Blume? Warum strahlt die Natur in den prächtigsten Farben? Warum scheint die Sonne? Natürlich gibt es dazu ganz viele wissenschaftliche Erklärungen. Aber eines ist sicher: Sie tun es nicht für sich selbst, um etwas damit zu erreichen, zu erhalten oder besser zu sein. Sie sind und tun einfach.

Wenn wir an diesem Wendepunkt angekommen sind, an dem wir uns die Frage stellen „Wozu das Ganze“, dann passiert in den meisten Fällen etwas Magisches.

Zuerst fällt uns ein, was wir alles nicht mehr tun müssen. Nicht mehr groß oder klein, dick oder dünn sein. Nicht mehr erfolgreich, souverän oder über den Dingen stehend. Nicht mehr freundlich, angepasst und es jedem recht-machend. Wir müssen nicht mehr perfekt oder kontrollierend sein. Keine To-do-Listen mehr schreiben, wenn wir das nicht wollen. Keine Facebook-Nachrichten schreiben, wenn uns das lästig ist. Wir müssen nicht mehr die laute Werbe-Trommel schwingen und uns nicht mehr zu Dingen zwingen, die wir innerlich verabscheuen. Uns nicht mit Menschen treffen, die uns nicht guttun, nicht mehr eine Rolle spielen, wenn wir eigentlich ganz Ich sein wollen.

Und dann … ja, dann fällt uns ein, was wir stattdessen alles tun können, wollen und dürfen.

Und dieser Moment ist magisch. Wenn wir plötzlich auf uns hören und uns dem Tempo des Lebens anpassen dürfen. Wenn wir einfach nur noch sein dürfen. Wenn wir all unsere Ideen in die Welt bringen können (oder auch nicht), und wir keine Angst mehr haben, zu versagen, zu scheitern oder Fehler zu machen. Wenn wir leise sein dürfen, wenn uns danach ist und wir laut durch die Welt tanzen dürfen, weil wir das gerade möchten. Weil wir Strategien und Pläne aufstellen können, nicht weil sie uns irgendein Ergebnis versprechen, sondern weil wir es lieben, mit diesen Tools zu spielen. Weil wir stundenlang über ein Projekt sitzen oder einfach mal nichts tun dürfen. Weil wir über uns selbst lachen und das Leben ein ganz klein weniger ernst nehmen dürfen.

Plötzlich werden unser Business und unser gesamtes Leben zu einem Spielplatz (auch ein Bild, das bei dem Strategie-Workshop aufgetaucht ist), auf dem alles erlaubt und alles möglich ist.

Wir sind Menschen und als solche wollen wir uns entfalten und entwickeln. Das liegt in unserer Natur. Die Angst, dass wir nichts mehr tun würden, wenn wir keinen Druck mehr im Nacken spüren, ist absolut unbegründet.

Ganz im Gegenteil. Fallen einmal alle „müssen“ und „sollen“ weg und erkennen wir tatsächlich, dass wir bereits perfekt sind, so wie wir sind, dann taucht in uns ein Schaffens-Drang auf, dem wir nicht widerstehen können. So viele Ideen, die in uns auftauchen und aus uns heraus wollen. Dinge, die wir erleben, entdecken und erschaffen wollen. Tun ist dann keine Anstrengung oder Last mehr, sondern pure Freude. Manchmal fühlt es sich sogar an, als ob wir gar nicht „tun“, sondern alles einfach nur passiert.

Falls du noch nicht an diesem Wendepunkt angekommen bist, dann keine Sorge. Bleib dran, schau immer weiter in diese Richtung. Irgendwann wirst auch du dort sein. Und dieser Moment wird auch für dich ein ganz magischer sein.

Alles Liebe