Perfektionismus

 Warum erledigt besser als perfekt ist

Kommen dir diese Gedanken bekannt vor?

  • Ich muss immer alles richtig machen.
  • Ich muss immer perfekt und kompetent sein.
  • Ich muss immer alles 100-prozentig machen.
  • Ich muss perfekt sein, sonst lehnen andere mich ab.
  • Alles, was ich tue, muss perfekt sein.
  • Andere dürfen keine Fehler machen.
  • Es ist eine unverzeihlich und schlimm, wenn mir etwas misslingt.
  • Nur wenn ich perfekt bin, verdiene ich Anerkennung.
  • Entweder mache ich etwas perfekt oder gar nicht.

Dann bist du möglicherweise auch ein Perfektionist.

Das Streben nach Perfektion bringt viele Vorteile mit sich. Perfektionismus treibt an, bringt Höchstleistungen hervor, ist ein guter Motivator. In vielen Branchen ist das Streben nach Perfektion von großem Wert. Gewissenhaft,  korrekt und ehrgeizig sein, das sind wichtige Eigenschaften, um Erfolg zu haben. Will man die Karriereleiter hoch hinauf oder bei der nächsten Olympiade teilnehmen, ist Meisterhaftigkeit eine gute Basis.

Allerdings ist der Drang nach Vollkommenheit auch unheimlich stressig. Stets der/die Beste sein wollen, immer den Druck verspüren, 200 % zu geben, ständig sich und andere zu überprüfen, strengt an.

Eine meiner guten Eigenschaften: Ich bin perfektionistisch.
Eine meiner schlechten Eigenschaften: Ich bin perfektionistisch.

Mein Erlebnis

Vor mehr als 15 Jahren bekam ich eine Einladung, bei einem internationalen Kongress einen Vortrag zu halten. Es war mein erster Auftritt vor großem Publikum, dementsprechend nervöser wurde ich, je näher der große Tag kam. Bereits drei Wochen davor begann ich mit der Vorbereitung. Ich recherchierte tagelang, erstellte Präsentation um Präsentation, nur um sie wieder in den Mistkübel zu schmeißen. Übte vor dem Spiegel, nahm mich per Video auf, bat Freunde und Familie um Feedback. Ich wollte mich ja nicht blamieren. Der Vortrag wurde am Abend vor dem großen Auftritt rechtzeitig fertig. Die Nacht war etwas unruhig, aber ich fand ausreichend Schlaf, sodass ich am nächsten Tag entspannt zum Kongress fuhr.

Die Vorteile von Perfektionismus

 Perfektionismus ist das Streben nach Vollkommenheit. Eine perfektionistische Person besitzt hohe persönliche Standards, ist organisiert und auf Fehler sensibilisiert.

Für mich war klar, dass ich mich gut vorbereiten muss und ich einen guten (perfekten?) Vortrag halten möchte.

  • Perfektionismus treibt an, steht peitschend hinter einem und bringt einem im Idealfall zu Höchstleistungen.
  • Für viele Chefs sind solche Mitarbeiter ein Segen. Sie erledigen ihre Aufgaben mit großer Sorgfalt, sind stark intrinsisch motiviert und können sich selbst in einen positiven Gefühlszustand bringen.
  • Diese Personen setzen sich fordernde Ziele und wollen sie um jeden Preis erreichen. Sie sind bereit, Neues zu lernen und die eigenen Grenzen zu verschieben.
  • Perfektionisten arbeiten sehr präzise und erreichen eine höhere Qualität. Dadurch ist weniger Nacharbeit nötig.
  • Ein Perfektionist achtet auf kleine Details. Er bringt dadurch Einzelheiten ein, an die Andere oft gar nicht denken.

Perfektionismus hat zwei Gesichter

Wie geht die Geschichte weiter.

Endlich mein Auftritt. Im Saal saßen ungefähr 300 Personen, darunter viele Personalchefs namhafter Unternehmen. Ich sollte 20 Minuten über Personalentwicklungs-Strategien und ihre technische Umsetzbarkeit referieren. Nach circa einer Minute wurde ich warm und bewegte mich sicher auf der Bühne. Ungefähr bei der Hälfte angelangt, merkte ich, wie mir plötzlich heißer und heißer wurde.

„Oh Schreck, der Vortrag muss furchtbar sein“ war mein erster Gedanke. Ich blickte in den Saal. Er war noch gut gefüllt und ein paar hörten interessiert zu. Aber da hinten, da schläft doch schon der Erste ein.

Ich sackte innerlich zusammen, hielt mich am Rednerpult fest und starrte auf den Bildschirm vor mir. Meine Gedanken überschlugen sich. „Ich muss da weg! Mir ist ein fürchterlicher Fehler unterlaufen. Die Rede ist eine Katastrophe“. Ich brachte meine Hitzewallung mit der Qualität meines Vortrages in Zusammenhang und meine Nervosität stieg.

Die Folge: Ich hudelte durch den Rest der Präsentation. Da war keine Lockerheit mehr, keine Selbstsicherheit, keine Leichtigkeit. Alle rhetorischen Grundkenntnisse waren vergessen. Auf Pausen fürs bessere Verständnis und zum Luftholen wurde gepfiffen. Ich wollte nur weg. Wenn möglich durch einen unterirdischen Gang den Saal verlassen und nie wieder hervor kriechen.

Und so erreichte ich das Ende der geplanten 22-minütigen-Präsentation in rekordverdächtigen 18 Minuten. Schweißgebadet verließ ich das Podium und nahm den gar nicht so geringen Applaus kaum wahr. Auch die Glückwünsche meines Vorgesetzten und meiner Kolleginnen und Kollegen nahm ich nicht ernst. „Sie wollen mich ja doch nur trösten“, dachte ich. Doch ich wollte keinen Trost, ich sehnte ein Loch im Erdboden herbei.

Ich eilte an die frische Luft um erst mal abzukühlen. Als ich in den Saal zurück kam überfiel mich sofort Mitleid mit meinem Nachfolger. Er stand gleichfalls schweißgebadet auf der Bühne. Allerdings schien ihm das Ganze nichts auszumachen. Er hielt einen humorvollen Vortrag, tänzelte locker über die Bühne, als wenn nichts wäre. Er, im Gegensatz zu mir, konnte seinen Applaus genießen.

Als er das Podium verließ, zischte er mir im vorbei gehen entgegen: „Diese Scheinwerfer sind die Hölle“

Scheinwerfer? Welche Scheinwerfer?

Die Nachteile des Perfektionismus

Perfektion ist wie eine ewige Jagd, die niemals endet und einem an die Grenzen der Kraft bringt. Das Selbstvertrauen schwindet, weil man sich am Erreichten nicht erfreuen kann. Sie stehen permanent unter Leistungsdruck.

  • Perfektionisten suchen den Fehler bei sich. Für mich war es selbstverständlich, dass ich der Auslöser meiner Hitzewallungen sein musste. Ich kam gar nicht auf die Idee, den Auslöser im Außen zu suchen.
  • Perfektionismus hindert fertig zu werden. Ein Projekt wird nie fertig, da es immer ein Detail gibt, das es zu verbessern gilt. Der Zeitdruck wächst. Und am Ende bleibt immer noch das Unbehagen, dass etwas unvollständig ist.
  • Menschen, die perfektionistisch veranlagt sind, neigen zu Extremen. Bei Nichtgelingen kann dies bedeuten, dass auf ein Hobby, einen Job, eine Prüfung gänzlich verzichtet wird, da der vorausgesetzte Erfolg ausbleibt.
  • Perfektionisten sind oft schlechte Manager, weil sie mitunter überkritisch sind und ungern delegieren.
  • Es vermindert das Selbstwertgefühl und die Selbstachtung, wenn die Orientierung ausschließlich an der Leistung erfolgt.

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Was steckt dahinter?

 Hinter dieser Perfektionssucht steckt nicht selten der Wunsch nach Beachtung und Beifall, das Verlangen nach Kontrolle und der Versuch sich vor Missgunst zu schützen. Die Furcht vor Misserfolg, vor Ablehnung oder vor Versagen.

Sehr oft sind diese Menschen im Kern sehr sensibel und bauen sich als Schutz eine harte Schale auf. Keine Fehler zu machen, bewahrt sie vor Kritik. Kritik, die sie nur allzu gerne persönlich nehmen.

Was ich gelernt habe?

Wie du siehst, bin ich nicht mehr ganz so perfektionistisch. Mittlerweile kann ich Schwächen zugeben (wenn auch nur sehr ungern :-)).

Auch wenn ich diesen Artikel zigmal durchgelesen habe, du findest vielleicht doch den einen oder anderen Fehler finden. Vielleicht findest du ihn sogar grottenschlecht :-).

Egal. Ich habe gelernt, Dinge abzuschließen und nicht darauf zu hoffen, dass alle gut finden, was ich mache. Man kommt sonst nicht weiter.

Done is better than perfect!

FAZIT:

In den meisten Fällen reichen 80 %. Die aber konsequent. Damit bleibt Ihnen ausreichend Kraft, wenn mal 120 % von Ihnen gefordert werden. Immer perfekt ist nicht schaffbar und schadet mehr, als dass es hilft. Versuchen Sie die positiven Eigenschaften des Perfektionismus zu nutzen und die negativen auszublenden.

Und du? Bist du perfektionistisch? Verschiebst du Dinge auf die lange Bank, weil sie noch nicht gut genug sind?

Hinterlasse mir doch einen Kommentar, ich bin sehr interessiert daran, was du zu erzählen hast.

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