Eines der größten Mantras in der Business-Welt ist: „Du musst sichtbar sein.“ Was vollkommen Sinn ergibt. Denn wenn niemand weiß, dass es dich gibt, kann niemand deine Produkte und Dienstleistungen kaufen. Ganz gleich, wie gut sie sind.
Obwohl das eine äußerst logische Schlussfolgerung ist, haben viele Unternehmer*innen ein Problem mit ihrer Sichtbarkeit. Oder glauben, eines zu haben.
Ich schließe mich da gar nicht aus. Jahrelang habe ich versucht „sichtbarer“ zu werden und wusste nicht, wie mir das gelingen könnte. Ich habe sehr viel Geld in alle möglichen und unmöglichen Programme investiert, unter anderem auch in ein Jahres-Programm mit einem sehr sichtbaren Kollegen. Dachte ich mir doch, ja wenn er so sichtbar ist, dann kann er mir zeigen, wie auch ich sichtbarer werde.
In seinem Angebot war alles vorhanden. Er zeigte, wie wir einen Podcast aufnehmen und in die Presse kommen können, und er hatte Kontakte zu Verlagen, falls wir ein Buch schreiben wollen. Also eigentlich ein breites Spektrum, aus dem wir wählen konnten und er uns Unterstützung anbot.
Ich bin aus diesem Programm nach einigen Monaten ausgestiegen. Nicht, weil es schlecht war. Sondern weil ich für mich erkannte, dass Sichtbarkeit weniger damit zu tun hat, ob wir Kontakt zur Presse oder Verlagen haben oder nicht. Vielmehr habe ich erkannt, dass es wichtiger ist, was wir unter Sichtbarkeit verstehen und welche Gedanken wir dazu haben.
Die Angst des Egos
Denn ich bin davon überzeugt, dass jede Unternehmerin und jeder Unternehmer genau weiß, wie sie oder er sichtbarer werden kann. Auch im Netz finden sich genug Anleitungen dazu: Jeden Tag 30 Minuten online gehen, unbedingt einen Lead-Magneten erstellen, Videos oder Podcast herausbringen, bei Veranstaltungen auftreten und so weiter und so weiter.
Das alles ist keine Hexerei. Jeder weiß, wie es geht.
Wenn wir es denn so genau wissen, warum tun wir es dann nicht?
Weil mit der Sichtbarkeit ganz viele Ängste einhergehen.
Zum Beispiel:
- Wenn ich sichtbarer bin, dann merken die anderen Leute, dass ich eigentlich gar nicht so gut bin, wie ich vorgebe zu sein.
- Wenn ich sichtbarer bin, dann bekomme ich auch mehr negatives Feedback.
- Wenn ich sichtbarer werden will, dann muss ich vielleicht Dinge tun, die ich gar nicht tun mag.
Für unser Ego ist Sichtbarkeit ein großes Risiko. Denn immerhin redet uns der Verstand die ganze Zeit ein, dass wir noch nicht gut genug wären, immer noch besser werden sollten und sowieso nie an unsere Konkurrenz herankommen werden. Je sichtbarer wir sind, umso größer also die Gefahr, entdeckt und enttarnt zu werden.
Insofern ist es eine verständliche Reaktion, wenn wir innerlich gespalten sind. Einerseits sollen wir uns zeigen, andererseits haben wir Angst davor.
Aber wie bei jedem Thema, können wir auch bei der Sichtbarkeit unsere Perspektive wechseln und eine Sache, die uns Angst und Stress bereitet, mal von einer anderen Seite betrachten.
Anstatt dich also zu fragen, WIE du sichtbarer werden kannst, versuche es doch mal mit den folgenden 3 Fragen. Vielleicht verliert der Mythos Sichtbarkeit damit ein klein wenig von seinem Schrecken.
Was, wenn du bereits sichtbar genug bist?
Unser Verstand ist ein Meister der Tricks und Illusionen. Immer hält er uns die Karotte vor die Nase und meint, wir bräuchten noch mehr. Mehr Kunden, mehr Umsatz und natürlich mehr Sichtbarkeit.
Solange wir diese Illusion nicht aufdecken, jagen wir der Karotte nach und wundern uns, dass es nie genug ist, ganz gleich, was wir tun.
Viele Unternehmer*innen glauben, sie wären nicht sichtbar genug. Denn wären sie sichtbarer, dann würden ihnen die Kund*innen die Türe einrennen und das Geld beim Fenster hereinwehen.
Aber was, wenn das alles nicht stimmt? Was, wenn die Anzahl an Kund*innen, die du gerade hast und der Umsatz, den du erzielst, genau richtig sind.
Ich kann dich schon hören, dass du sagst: Ja, aber ich benötige doch mehr …, sonst …
Aber, was, wenn das nicht stimmt? Was, wenn du nicht mehr benötigst?
Mir ist klar, dass der Verstand ganz viele Argumente aufbringt, warum das sehr wohl stimmt und du unbedingt mehr brauchst.
Aber was passiert, wenn du diese Verstands-Argumente an dir vorbeiziehen lässt und dich fragst: Was, wenn du (jetzt) sichtbar genug bist und was, wenn du (jetzt) nicht mehr brauchst?
Was passiert dann in dir?
Und … was würdest du alles tun, wenn diese Aussage stimmt?
Was, wenn du richtig schlecht sein darfst?
Ich hatte immer Angst, nicht gut genug zu sein. Was mich dazu brachte, viele Dinge gar nicht erst auszuprobieren und viele Ideen in meiner Schublade verschwinden zu lassen.
Bis ich mich irgendwann mal fragte, was passieren würde, wenn ich richtig schlecht sein dürfte.
Zuerst heulte mein Verstand auf – nein, das geht gar nicht.
Aber je länger ich mit dieser Frage saß, merkte ich, wie all die Anspannung und Last von meinen Schultern wichen.
Ich erkannte für mich, dass, auch wenn ich schlecht sein darf, ich mein Bestes geben würde. Weil es das ist, was ich immer tue. Ich versuche mein Bestes zu geben. Einzig mein Verstand kann das nicht sehen.
Denn ein Verstand gibt kein objektives Urteil über unser Tun ab. Er kann nicht abschätzen, ob das, was wir tun, gut oder nicht gut ist. Er weiß es einfach nicht.
Stattdessen fahren in uns automatisierte Abläufe ab und wenn unser Verstand auf „nicht gut genug“ getrimmt ist, dann wirft er diesen prüfenden Gedanken immer in unser Tun hinein.
Was passiert aber, wenn du ihm diesen Automatismus abdrehst? Du wirst erkennen, dass die Überprüfung wegfällt und sich dein Verstand nicht mehr einmischt, weil du ihm seine Aufgabe entzogen hast.
Frage dich: Wenn du wirklich schlecht sein dürftest, was würdest du dann alles tun?
Was würdest du tun, wenn du unsichtbar wärst?
Ein weiteres Gedanken-Spiel habe ich vor langer Zeit bei meinem Mentor Michael Neill gelesen: Stell dir vor, du wärest unsichtbar. Ganz gleich, was du tust, du wärst für niemanden sichtbar. Was würdest du dann alles tun?
Wenn du dieses Gedanken-Spiel machst, dann fallen die Antworten meist in zwei Kategorien:
Einerseits fallen dir all die Dinge ein, die du wirklich gerne tun möchtest und du bemerkst die Energie, die in dir aufsteigt. Bisher hast du viele Dinge vielleicht nicht getan, aus Angst du könntest dabei versagen, Fehler machen oder schlecht dabei aussehen. Aber wenn das wegfallen würde, …?
Andererseits taucht vielleicht die Frage in dir auf: Ja warum soll ich denn etwas tun, wenn es niemand mitbekommt und mich keiner sieht?
Diese Unterscheidung zeigt dir, in welchen Bereichen du dich einer Tätigkeit hingibst und es dir rein um die Sache geht. Du es tust, einfach weil du Freude daran hast. Und es zeigt dir, in welchen Bereichen du dein Ego aufpolieren möchtest.
Wenn du ehrlich zu dir bist, wirst du überraschst sein, wie viele Dinge du tust, nur damit du irgendwas dafür erhältst: Anerkennung, Zuneigung, Bewunderung, Lob.
Wenn das alles wegfällt, du also für dein Tun keine Ego-Streicheleinheiten mehr erhältst, was würdest du dann alles tun?
Sichtbarkeit war für mich selbst lange ein Problem. Je mehr ich aber erkenne, dass es bei dem, was ich tue, nicht um mich geht und ich weniger auf die Tricks meines Verstandes hereinfalle, umso mehr kann ich mich der Welt so zeigen, wie ich bin. Mit all meinen Fehlern und Unzulänglichkeiten.
Meine Begeisterung für eine Sache steigt, wenn ich mir keine Sorgen mehr mache, wie ich dabei aussehe oder welches Ergebnis ich erzielen könnte. Sichtbarkeit ist dann plötzlich kein Ding mehr, vor dem ich Angst habe, sondern ein natürliches Nebenprodukt meiner Arbeit.
Hinterlasse einen Kommentar