Verhalten ändern - Silvia Chytil

Letztes Jahr war ich sehr oft in Los Angeles, ich machte dort die Ausbildung zum Transformative Coach. Um die Ecke von unserem Haus, in dem wir wohnten, war ein großer Supermarkt. Davor saß fast jeden Tag ein Obdachloser, der um ein paar Dollar bat.

In den ersten Tagen, als ich vorbei ging, würdigte ich ihn keines Blickes. In mir lief ein Programm der Bewertung ab. Warum muss denn der dort sitzen und mich um Geld anbetteln. Ich will ihm kein Geld geben. Ich will da in Ruhe meinen Einkauf machen.

Am vierten Tag ging ich wieder blicklos an ihm vorbei und auf halben Weg plötzlich überkam es mich. Ich bemerkte, wie abfällig ich ihm gegenüber war. Welch starke Bewertung ich in mir trug. Wie ich mich selbst über ihn stellte.

Sofort überkam mich ein Gefühl der Schuld. Ich wusste nichts über diesen Mann. Ich wusste nicht, warum er Obdachlos war und warum er auf eine Spende angewiesen war.

Im Normalfall wäre ich mit diesem schlechten Gefühl weiter meines Weges gegangen. Ich hätte mich zwar meiner Vorurteile schuldig gefühlt, hätte aber nichts getan.

Diesmal allerdings kehrte ich um. Ich ging zu diesem Mann, gab ihm ein paar Dollar und redete mit ihm. Er erzählte mir seine Geschichte. Er hatte einen Unfall, konnte kaum gehen, verlor seinen Job und da er eben in den USA lebte, hatte er keine Sozialhilfe, die ihn auffing. Aber mittlerweile macht er beim Gehen gute Fortschritte und hofft, dass er in ein paar Monaten auch wieder Arbeit finden wird.

Konditionierte Gedanken

Wir alle haben irgendwelche Vorurteile. Sei es Obdachlosen oder Bettlern gegenüber. Flüchtlingen, Ausländern, Menschen mit anderer Hautfarbe. Menschen mit viel Geld, Menschen mit wenig Geld. Menschen mit einem anderen religiösen Glauben, konträrer politischen Einstellung oder auch sportlicher Clubzugehörigkeit.

Meistens sind es immer Menschen, die „anders“ sind oder anders denken, als wir.

Nun, es macht uns zu keinem sehr guten Menschen, wenn wir abfällig gegenüber andere Menschen sind, aber im ersten Schritt macht es uns auch noch nicht zu schlechten Menschen. Denn wir alle haben solche konditionierten Gedanken.

Konditionierte Gedanken deshalb, weil ich davon überzeugt bin, dass wir mit diesen nicht auf die Welt gekommen sind. Es gibt zahlreiche Studien und Untersuchungen mit Kindern, die ganz eindeutig zeigen. Rassismus, Diskriminierung, Neid, Übervorteilung, Ausgrenzung usw. liegen nicht in der Natur der Menschen. Kinder reagieren nicht so. Ein sehr beeindruckendes Video dazu findest du hier: https://www.youtube.com/watch?v=bH9AyDYbrEc

Diese Gedanken, dass „die Anderen“ schlechter oder auch besser wären als wir, werden uns im Laufe der Jahre eingeimpft. Und sie haben sich auf unserer Festplatte eingraviert. Bei manchen stärker und bei manchen weniger stark. Aber wir alle haben leider diese Art der Gedanken.

Wenn wir uns die Natur der Gedanken genauer ansehen, stellen wir fest, dass wir gegen das Aufpoppen dieser Gedanken nur sehr wenig tun können. Ist die neuronale Verbindung mal gegeben, funkt sie immer wieder.

Wir können zwar gegen die Gedanken nichts tun, ganz hilflos sind war aber trotzdem nicht.

Wie läuft der Prozess ab:

1. Wir produzieren unbewusst Gedanken und handeln danach

So läuft der Großteil unseres Lebens ab. Unser Gehirn „sagt“ uns, was wir zu tun haben und was nicht. Wir laufen auf Autopilot. Für unser Gehirn ist dieser Zustand natürlich sehr zweckmäßig, denn er verbraucht die wenigste Energie.

Aber irgendwann einmal merkt unser Gehirn, dass da etwas „falsch“ läuft. Das ist der Zeitpunkt, wo wir

2. Uns der Gedanken bewusst werden

Bei mir war es offensichtlich so, dass ich automatisiert an dem Mann vorbei ging und auch meine Beurteilungen im Kopf produzierte, sich aber doch bereits ein Teil in mir gegen diese Vorgehensweise sträubte und nicht in Ordnung fand.

Wenn so etwas passiert, dann bekommen wir den Gedanken in unser Bewusstsein.

Manchmal dauert es etwas mit dem „bewusst machen.“ Bei mir passierte es erst am vierten Tag.

Wenn dieser Gedanke aber erst mal unsere Aufmerksamkeit bekommen hat, dann können wir

3. Unser Verhalten ändern

Sobald wir uns der Gedanken und des eigenen Verhaltens bewusst sind, können wir auch ganz bewusst gegensteuern. Unser Gehirn schickt uns Gedanken in unser Bewusstsein, wenn eine aktuelle Entscheidung ansteht und bewusstes (und nicht automatisiertes) Handeln erfordert.

Ich hätte auch die nächsten Tage peinlich berührt und mit schlechtem Gewissen an diesem Mann vorbei gehen können. Aber ich habe mich entschieden, es nicht zu tun.

Das Geschenk des Bewusstseins

Ich halte nichts davon, uns selbst unsere „schlechten“ Gedanken oder Verhalten vorzuwerfen. Denn zum größten Teil sind sie konditioniert und antrainiert und oft genug sind sie uns gar nicht bewusst. Im Trubel des Alltags passiert es uns allen, dass wir in solche Denkfallen stolpern.

Aber mit dem großen Geschenk des Bewusstseins, mit dem wir Menschen ausgestattet sind, können wir unser Tun und Handeln beobachten. Wir, im Vergleich zu anderen Lebewesen, können entscheiden, ob wir unseren (konditionierten) Gedanken weiterhin unser Leben steuern lassen oder ob wir nicht doch lieber einen anderen Weg einschlagen und unser Verhalten verändern wollen.

Es geht nicht darum, Menschen immer Geld zu geben. Vielmehr geht es darum, Acht zu geben auf Gedanken, die in unser Bewusstsein aufsteigen und denen wir aus unserem tiefsten Herzen nicht (mehr) zustimmen. Wo sich etwas regt und wir uns denken „Oh, da habe ich wohl nicht richtig gehandelt.“

Achtung: Nur weil wir einmal umgekehrt sind und mit dem Obdachlosen geredet haben, heißt es noch lange nicht, dass dadurch unsere Vorurteile verschwunden sind. Wir produzieren auch weiterhin Vorwürfe, Beurteilungen und Schuldzuweisungen in unserem Kopf.

ABER: Wir haben jederzeit ein Vetorecht und können gegen unsere (und ich sage es nochmals) konditionierten Gedanken handeln.

Und irgendwann einmal vielleicht, hat auch unser Gehirn gemerkt, dass diese Gedanken für uns keine Gültigkeit mehr haben und legt daraufhin neue Verbindungen an. Bis es soweit ist, dürfen wir bewusst einschreiten.

Welche konditionierten und automatisierten Gedanken oder welches Verhalten zeigst du, dass für dich eigentlich nicht mehr passt? Was hast du dagegen getan? Lass es mich wissen und schreibe mir ein paar Zeilen in die Kommentare.

Alles Liebe