Wünschen wir uns nicht alle mal, dass wir mit einem Finger-Schnipps unser Verhalten verändern könnten. Leider übersehen wir, dass die meisten unserer Verhaltensweisen und Reaktionen automatisiert ablaufen. Das ist einer der größten Fähigkeiten unseres Gehirnes. Es lernt Prozesse, kann Ereignisse „vorhersehen“ und wählt dann ein Programm, damit wir rasch und effizient reagieren können. Als kleines Kind lernen wir, dass wir nicht über die Straße laufen sollen, ohne uns zu vergewissern, dass kein Auto naht. Diesen Prozess speichert unser Gehirn als nützlich ab und daher schauen wir im Erwachsenen-Alter ganz automatisch nach links und rechts.
Aber nicht nur die Straße überqueren, Auto fahren, Zähne putzen und vieles mehr wird automatisiert, sondern auch, wie wir auf Konflikte oder in Stress-Situationen reagieren.
Manche haben gelernt, sich bei Konflikten zurückzuziehen, andere greifen auf den Angriffs-Modus zurück. Das sind die typischen „Fight and Flight“ -Reaktionen. Beide Möglichkeiten sind in uns vorhanden. In welcher Situation wir wie reagieren, ist angelernt und wird in uns als Programm abgespeichert, sobald es sich einmal als wertvoll erwiesen hat.
Nicht immer ist der Automatismus positiv
So großartig diese automatisierten Programme sind, manchmal können sie sowohl uns als auch anderen Personen Schaden zufügen. Was sich einmal als nützlich erwiesen hat, kann sich in späterer Folge als Fehler herausstellen.
Ein Beispiel: Als junger Mensch sind wir nach einem stressigen Arbeitstag mit unseren Kolleg:innen auf ein Getränk gegangen. Alkohol floss, die Stimmung war gut, wir entspannten uns. Das machen wir nicht nur einmal, sondern wiederholen es öfter. Irgendwann stellt unser Verstand einen Zusammenhang her und lernt, dass Alkohol und Party Stress reduzieren und fröhlich machen. Also schlägt unser Gehirn in Zukunft immer Alkohol vor, wenn sich Stress in uns ausbreitet.
Wie wir reagieren, ist sehr individuell, jede Person hat ihre eigene Programmierung. Manche gehen einkaufen, um Stress abzubauen. Andere ziehen sich zurück, wenn sich in ihnen Angst und Druck ausbreitet. Wieder andere brüllen, um Dampf abzulassen.
Meistens machen wir uns über diese inneren Abläufe keine Gedanken. Es kann aber vorkommen, dass wir erkennen, dass sie uns mehr schaden, als nutzen. Um bei dem Beispiel von vorhin zu bleiben, uns fällt plötzlich auf, dass wir immer Alkohol zur Belohnung nach einem stressigen Arbeitstag trinken.
Oder jemand quatscht uns blöd an – und auf Knopfdruck läuft unser Programm an. Wir fühlen uns angegriffen, das erzeugt Stress in uns, in uns steigt Wut und Enttäuschung auf, unser Herz fängt zu rasen an, und, weil wir es so gelernt haben, brüllen wir zurück. Diese Explosion bringt Erleichterung, die Energie, die sich durch den Stress aufgebaut hat, kann aus unserem Körper wieder entweichen. Wir lernen, brüllen reduziert Stress.
Wenn wir so ein „negatives“ Verhalten erkennen, überkommt uns oft schlechtes Gewissen. Wir sollten weniger Alkohol trinken oder nicht so aggressiv reagieren. Meist versuchen wir uns zu verändern, wir versuchen ruhig zu bleiben, weniger zu trinken, zu essen oder einzukaufen. Was vielleicht kurzfristig gelingt, sobald aber jemand oder etwas bei uns „den Knopf“ drückt, verfallen wir wieder in alte Verhaltensweisen und die Spirale dreht sich von Neuem.
Was können wir nun tun, um unerwünschtes Verhalten zu verändern und Automatismen zu stoppen?
Verhalten verändern – 2 Wege
1. Den Irrtum erkennen
Sosehr die meisten Automatismen hilfreich sind, liegt bei manchen ein ganz großer Fehler verborgen. Nicht, wenn es um das Auto geht, vor dem wir uns auf der Straße in Acht nehmen sollen. Es ist absolut förderlich, dass wir nicht jedes Mal darüber nachdenken müssen, wie wir uns auf einer stark befahrenen Straße zu verhalten haben.
Der Fehler passiert, wenn es um den Zusammenhang zwischen dem Auslöser von Stress, Druck, Wut, Ärger, Ängsten und anderen negativen Gefühlen – und der nachfolgenden Erleichterung, also positiven Gefühlen, geht.
Denn der große Irrtum, den unser Verstand hier macht, ist, dass er eine äußere Situation mit einem inneren Zustand verbindet und einen Zusammenhang herstellt, den es so nicht gibt.
Es ist nicht der Alkohol oder die Party, die uns in fröhliche Stimmung bringt und vom Stress befreit. Sondern, dass wir nicht mehr über die anstrengende Arbeit nachdenken und stattdessen mit anderen Menschen lachen und Spaß haben.
Es gibt nämlich auch jene Situation, in der wir mit Freunden unterwegs sind, das eine oder andere Glas Wein trinken, unsere Stimmung verbessert sich aber trotzdem nicht. Wir bleiben gestresst, obwohl wir uns in einer fröhlichen Runde befinden. Der Grund ist, dass wir weiterhin über Business, Job, Beziehung, Geld, oder ein anderes Problem in unserem Leben, nachdenken.
Daraus ergibt sich ein falscher und ein richtiger Zusammenhang:
Falsch: Äußere Umstände lösen Stress, Druck, Ängste oder auch Freude und Erleichterung aus.
Richtig: Wenn wir nicht ständig über Dinge nachdenken, die uns stressen, ärgern oder ängstigen, tritt von ganz allein Erleichterung auf.
Manchmal hilft es schon, diesen Zusammenhang zu erkennen und das Verhalten verändert sich. Wenn wir uns nämlich einmal der Sinnlosigkeit eines Automatismus bewusst werden, kann das die Programmierung überschreiben. Denk an all die Menschen, die von heute auf morgen zu trinken oder Rauchen aufgehört haben, ihr Essverhalten verändert oder plötzlich mit Begeisterung Sport betreiben.
Ein Verhalten zu verändern, benötigt nicht Zeit, sondern es benötigt das Erkennen, dass dieses Verhalten nicht mehr nützlich ist.
2. Die Reaktionszeit vergrößern
Nicht immer tritt so ein Erkennen, und damit eine Verhaltensänderung, so schnell ein. Vom Kopf her wissen wir zwar, dass unser Verhalten schädlich ist, der Automatismus ist aber immer noch in uns abgespeichert, der Zusammenhang noch nicht komplett aufgelöst.
Läuft der Automatismus unbewusst und unerkannt in uns ab, haben wir kaum die Möglichkeit diesen aufzuhalten.
Sind wir aber wachsam und aufmerksam, dann erkennen wir, wenn der Automatismus anspringt. Wir spüren, dass Wut, Ärger, Angst, Zweifel oder Unsicherheit in uns hochsteigt. Wir fühlen, dass unser Herz schneller zu schlagen beginnt oder nehmen andere körperliche Anzeichen wahr. Das heißt, wir können ganz genau spüren, wenn sich unser Körper in einer Stress-Situation befindet und sich auf Angriff oder Flucht vorbereitet.
Genau hier können wir eingreifen. Anstatt sofort zu reagieren, können wir den Abstand zwischen Stimulus (Stress, Druck, Ärger, Angst) und unserer Reaktion vergrößern.
Wir können ein paar Mal tief durchatmen, den Raum verlassen oder eine Runde in der Natur spazieren gehen.
Nehmen wir uns diese Zeit, dann beruhigt sich unser System von ganz allein wieder. Wir sind keine Sklaven unseres Gehirnes und unseres Verstandes, auch keine Opfer von Situationen oder von unseren abgespeicherten Automatismen.
Wir können Verantwortung für unser Verhalten übernehmen und dieses beeinflussen.
Jedes Mal, wenn wir einen Abstand zwischen einem Auslöser und unserer Reaktion lassen, lernt unser Gehirn, dass das bisherige Verhalten nicht mehr wünschenswert ist. Mit der Zeit lösen sich die alten neuronalen Verbindungen auf und neue, zielführendere werden abgespeichert.
Fazit:
Fallen wir in einen unerwünschten Automatismus, scheint es, als ob wir die Kontrolle über uns verlieren würden. Alles in uns läuft so wahnsinnig schnell ab, dass wir kaum bewusst reagieren können. Erst im Nachhinein fällt uns auf, dass wir eine Verhaltungsweise an den Tag gelegt haben, die wir so eigentlich gar nicht haben wollen. Was oft mit schlechtem Gewissen und innerlichen Vorwürfen quittiert wird.
Ein neues Verhalten stellt sich ein, wenn wir entweder eine Erkenntnis haben und uns bewusst wird, dass unser bisheriges Vorgehen nicht zielführend ist. In diesem Fall kann die Verhaltens-Veränderung in einem Wimpernschlag passieren. Wir alle kennen, von uns oder anderen, solche Fälle.
Oder aber wir vergrößern den Abstand zwischen Stimulus und Reaktion. Wir benötigen dazu keine Willenskraft und müssen auch nicht unseren inneren Schweinehund besiegen. Sondern es reicht, wenn wir uns die Freiheit nehmen, nicht sofort auf einen Impuls in uns zu reagieren. Das mag uns nicht immer gelingen, wenn wir aber wachsam und mit uns nachsichtig sind, gelingt uns das immer öfter.
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