Eine liebe Freundin und Kundin von mir und ich haben einen „Running Gag“. Wann immer eine von uns eine Behauptung aufstellt, von der sie sehr überzeugt ist, dann sagt die andere: „Vielleicht, vielleicht auch nicht.“ Da kann es darum gehen, was jemand anderer oder wir selbst über uns denken. Oder was in der Zukunft passieren wird. Oder wie wir eine bestimmte Situation einschätzen.
Angefangen hat dieses Spiel bei unserem ersten Retreat. Sehr überzeugt legte sie mir dar, wie unfair sie von einer ehemaligen Arbeitskollegin behandelte wurde. Für meine Kundin war das auch einer der Hauptgründe, warum sie damals den Job dort kündigte. Sie fürchtete, ihre Reputation in ihrem über Jahre aufgebauten Netzwerk zu verlieren.
Ein ähnliches Beispiel erzählte mir vor Kurzem eine andere Kundin. Sie könne ihrem Stellvertreter nicht vertrauen, weil er… zu viele Probleme sieht, zu wenig verkauft, sich nicht genug einsetzt. Sie war felsenfest davon überzeugt, dass sie jetzt irgendwie reagieren müsse. Sonst würde etwas Schlimmes passieren: Der Umsatz würde einbrechen, die Kunden davonlaufen, andere Mitarbeiter angesteckt werden etc.
Ich selbst glaubte in den ersten Jahren meiner Selbstständigkeit, dass ich eine Niete im Verkaufen sei. Und da ich das so schlecht kann, muss ich mich doppelt und dreifach anstrengen, damit Kundinnen und Kunden den Weg zu mir finden.
Der Geschichtenerzähler
Unser Verstand liebt Geschichten. Für ihn ist es die beste Möglichkeit, ein Geschehen auf Konsistenz zu prüfen. Und er gibt Prognosen für die Zukunft ab. Was gut ist, denn mit dieser Fähigkeit ist es uns überhaupt erst möglich, Projekte und Vorhaben in die Zukunft hinein zu planen.
Was wir jedoch übersehen ist, dass es sich um reine Vorstellungen handelt. Sie fußen auf einer Überzeugung, die wir jetzt gerade aufstellen.
Eine Kollegin redet schlecht über mich, das ruiniert meinen Ruf. Ein Mitarbeiter sieht überall nur Probleme, das wirkt sich negativ aufs Geschäft aus. Ich bin schlecht im Verkaufen, ich muss mich mehr anstrengen.
Nun, all diese Überzeugungen, Vorstellungen und Folgerungen können stimmen.
Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.
Vielleicht ruiniert es den Ruf, vielleicht auch nicht. Vielleicht wirkt sich das aufs Geschäft aus, vielleicht auch nicht. Vielleicht muss ich mich mehr anstrengen, vielleicht auch nicht.
Jetzt denkst du möglicherweise: Ja, aber ich will ja nicht, dass etwas Negatives geschieht, also muss ich rechtzeitig reagieren.
Das mag schon stimmen. Das Problem jedoch ist, dass wir allzu schnell dazu übergehen, die Horror-Geschichten zu glauben, die uns unser Verstand erzählt. Wir fühlen uns unsicher, wir wägen uns in Gefahr. Wir glauben, wir müssten sofort handeln, um das bevorstehende Unglück abzuwenden.
Was aber, wenn die Geschichte nicht stimmt, die wir uns erzählen. Wenn der Ruf nicht ruiniert wird, nur weil jemand an uns etwas auszusetzen hat. Wenn es dem Geschäft nicht schadet, nur weil der Mitarbeiter sich gerne in Problemen wälzt. Und ich mich gar nicht mehr anstrengen muss, damit ich mehr verkaufe.
Unser Verstand kann sehr überzeugend sein, wenn es darum geht, uns vor möglichem Schaden zu bewahren. Was sinnvoll ist, denn diese eingebaute Alarmanlage ist wichtig und notwendig und kann uns tatsächlich vor Gefahren warnen.
Allerdings ist unser Verstand keine Wahrsage-Maschine, sondern eine Vorstellungs-Maschine. Er stellt sich Dinge vor, die in der Zukunft passieren könnten. Er stellt Prognosen auf, wie etwas ausgehen könnte.
ABER: Es ist NIEMALS die Wahrheit.
Wir können nicht in die Zukunft schauen. Wir wissen nicht, was passieren wird. Wir haben einfach keine Ahnung.
Vielleicht, wenn ich mich sehr anstrenge, verkaufe ich 100 Kurse, die ich anbiete. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht bekommt mein Ruf ein paar Dellen, wenn jemand schlecht über mich spricht.
Vielleicht auch nicht.
Um wie viel einfacher wäre das Leben, wenn wir unseren Verstand genau als das erkennen, was er ist: ein Geschichtenerzähler.
Dass eine Geschichte, die er uns präsentiert, eine von einer Million Möglichkeiten ist. Dass der Verstand nur versucht, die Zukunft vorherzusagen. Abgeleitet aus Erfahrungen aus der Vergangenheit, reimt sich der Verstand eine Geschichte zusammen, was möglicherweise passieren könnte.
ABER: Es könnte auch ganz anders kommen.
Leichtigkeit ist …
… offen für viele Möglichkeiten zu sein.
Bleibe offen für Alternativen
Versuchen wir ein Gedanken-Experiment und denken unterschiedliche Wege durch:
1. Was passiert, wenn ich die Geschichte meines Verstandes glaube, dass ich a) nicht verkaufen kann und b) mich mehr anstrengen muss, um etwas zu verkaufen.
Jede Verkaufs-Aktion wird zur Qual. Vor einem Erstgespräch überlege ich mir stundenlang, was ich sagen muss, damit ich gut verkaufe. Beim Gespräch selbst beobachte ich mich ständig, ob ich es denn eh gut mache. Nach dem Gespräch falle ich in ein tiefes Loch, denn oft genug fühle ich mich bestätigt, weil nicht gekauft wird. Wieder eine Bestätigung, dass ich es nicht kann.
Also muss ich mich noch mehr anstrengen. Ich gebe Tausende Euro für alle möglichen Kurse und Trainings aus, damit ich endlich besser werde. Zumeist ändert das aber wenig an meinen Verkaufszahlen, was natürlich mein Glaube, dass ich eine Niete bin, noch mehr verstärkt.
2. Was passiert jedoch, wenn ich dieser Geschichte, ich sei schlecht im Verkauf und ich müsse mich mehr anstrengen, keinen Glauben schenke? Oder es als nur eine von vielen Möglichkeiten ansehe?
Mein Blick weitet sich plötzlich. Ich sehe Möglichkeiten, wo davor keine waren.
Eine Möglichkeit wäre, dass ich schlecht im Verkauf bin, nicht weil ich eine Niete bin, sondern weil ich es in meiner Vergangenheit nicht gelernt habe. So wie Geige spielen. Auch das habe ich in der Vergangenheit nicht gelernt, würde aber auch nie auf die Idee kommen, dass ich es sofort können müsse, sobald man mir eine Geige in die Hand drückt. Beim Verkaufen denken wir aber oft, es läge an uns und nicht an der fehlenden Erfahrung.
Eine andere wäre, dass ich den Begriff „Verkaufen“ viel zu negativ belegt habe. Dass ich es in Gedanken mit Phrasen wie „über den Tisch ziehen“, „manipulieren“, „dem anderen Geld aus der Tasche ziehen“ etc. gleichsetze. Kein Wunder also, dass ich darin schlecht bin oder mich unwohl fühle, denn ich will weder manipulieren noch jemandem Geld aus der Tasche ziehen.
Eine dritte Möglichkeit wäre, dass ich eigentlich sehr gut verkaufen kann. Und ich mir damit keine Sorgen mehr über mich und meine Verkaufskunst machen muss, sondern mich voll und ganz auf mein Gegenüber und deren Bedürfnisse konzentrieren kann.
Das sind jetzt nur drei Möglichkeiten, wie ich über eine Sache denken kann. Wir haben eine eingebaute Gedanken-Fabrik, die in einem fort neue und frische Gedanken hervorbringen kann. Wir müssen sie nur tun lassen.
Sobald wir nämlich eine Geschichte anzweifeln, die uns unser Verstand erzählt (Ist denn das wirklich wahr und ist das die einzige Möglichkeit?) macht sich unser System auf die Suche nach Alternativen. Aha, das ist also noch nicht die Wahrheit, was könnte es denn sonst noch sein?
Vielleicht redet ja niemand schlecht über mich. Vielleicht schadet es gar nicht meinem Ruf. Vielleicht handelt es sich um eine konstruktive Kritik. Vielleicht suche ich nur nach einem Grund, aus dem Unternehmen auszuscheiden. Vielleicht, vielleicht, vielleicht.
Und auch, wenn unser Verstand dann fündig geworden ist und wir glauben, ja, so ist es jetzt richtig, ja dann … ist auch das wieder nur eine Geschichte. Die vielleicht stimmt. Vielleicht aber auch nicht.
Hinterlasse einen Kommentar