Unmittelbar nach meiner Schulausbildung habe ich eine 3-jährige Ausbildung zur Bilanzbuchhalterin drangehängt. Ich kam zwar aus einer kaufmännischen Schule, hatte aber von Buchhaltung oder Bilanzieren keinen Tau. Keine Ahnung, wie ich damals die Matura (Abitur) geschafft habe.
Die Abschlussprüfung am Ende der 3 Jahre bestand aus vielen mündlichen Prüfungen in Steuerrecht und Betriebswirtschaftslehre. Als schriftliche Prüfung mussten wir eine fix-fertige Bilanz abgeben. Ohne Fehler! Das heißt, alle Belege mussten richtig bilanziert werden und zwischen Soll und Haben durfte keine Differenz bestehen. Das ist mit einem Buchhaltungsprogramm etwas einfacher, wir mussten es allerdings händisch auf einem A3-Bogen machen.
Und ganz ehrlich, nach 2,5 Jahren hatte ich von Bilanzieren zwar mehr Ahnung, fehlerfrei bekam ich so einen Jahresabschluss jedoch kaum hin. Falls ich es mal korrekt schaffte, war das für mich mehr ein Glücksfall, als dass ich wirklich wusste, warum das jetzt so reibungslos ablief.
Irgendwann im letzten Halbjahr machte es „Klick“. Plötzlich konnte und wusste ich es. Ich kann mich noch so gut an diese Zeit erinnern, denn ich saß stundenlang vor den Bilanzen und schoß eine nach der anderen richtig heraus. Es machte so viel Spaß, so viel Freude, dass ich gar nicht aufhören konnte. Die Angaben konnten für mich nicht schwierig genug sein, ich löste sie alle.
(Natürlich habe ich die Prüfung dann mit einem Ausgezeichnet absolviert – das soll aber nur am Rande erwähnt werden 😀.)
Obwohl ich seit gut 15 Jahren keine Bilanzen mehr erstelle, könntest du mich in der Nacht aufwecken und ich könnte sie lösen. Vermutlich brauche ich etwas länger, als damals, aber ich weiß, dass ich es kann.
Verstehen findet nicht im Kopf statt
Ich habe es verstanden. Das Wissen ist tief in mein System eingetaucht – ich verwende gerne den englischen Ausdruck „in the bones“. Denn es sagt genau das aus. Das Wissen ist nicht in meinem Kopf, es ist in meinen ganzen Körper. Und dieses Wissen können wir nie mehr vergessen. Es ist wie Autofahren, Radfahren, Schwimmen – einmal erlernt, vergessen wir es nie wieder.
Natürlich war hier viel Üben notwendig. Ich habe viele, viele Stunden vor Bilanzen verbracht und war oft genug dem Verzweifeln nahe, weil ich es nicht verstanden habe.
Aber Üben alleine war es nicht. Es gab sehr viele Mitstudent*innen, die mindestens genau so viel gelernt haben, wenn nicht sogar mehr. Trotzdem ist es bei ihnen nicht „in the bones“ gegangen. Es hat bei ihnen nicht „Klick“ gemacht.
Dieses „Klick“ ist ein Gefühl, als ob plötzlich alle Puzzleteile zusammen passen würden. Oder wir uns wie eine Rakete aus dem Nebeldunst empor katapultieren. Plötzlich ist es ganz leicht, klar und logisch für uns. Manchmal nehmen wir diesen Shift gar nicht wahr, wir wissen nur, dass sich etwas verändert hat. Ohne genau beschreiben zu können, was es tatsächlich ist. Manchmal ist dieser Shift wie ein kleines Erdbeben. Wir spüren diesen Ruck und vergessen ihn unser Leben nicht mehr.
Dieses „Klick“ ist so wesentlich und doch wird es von uns Menschen übersehen. Denn ohne diesem „Klick“ gibt es kein wirkliches Verstehen und es gibt keine Veränderung. Keine tief greifende und lang anhaltende Veränderung.
Das ist der Grund, warum wir so oft scheitern, wenn wir ein Verhalten an uns verändern wollen. Wir fahren schwere Geschütze auf, viel Disziplin und noch mehr Willenskraft. Wir erhalten Hinweise, dass wir 21 oder 30 oder 90 Tage etwas anders machen müssen, damit sich eine Verhaltensänderung einstellt.
Aber ganz ehrlich, wie oft hast du schon versucht mehr Sport zu betreiben, weniger zu essen, früher aufzustehen, konzentrierter zu arbeiten oder ähnliches. Hast dir Pläne aufgestellt, hast dich an diverse Regeln gehalten, warst diszipliniert. Hast all deine Willenskraft zusammengenommen und auch die 21 oder 30 oder 90 Tage durchgehalten. Und dann … war plötzlich alles wieder beim Alten. Die ganze Anstrengung umsonst, alles wie vorher.
Und dann gibt es jene Veränderung, die sich von heute auf morgen einstellt. Plötzlich zu rauchen aufhören. Plötzlich gesundes Essen, plötzlich keine Aufschieberitis mehr, plötzlich keine Angst vor Sichtbarkeit etc.
Ohne Anstrengung, ohne Disziplin, ohne Willenskraft. Und interessanterweise hält diese Veränderung dann viel länger, als jene, bei der du dich unheimlich angestrengt hast.
Nimm dir hier einen kurzen Moment und erinnere dich an eine Veränderung, die du angestrebt hast, die jedoch trotz viel Disziplin und konkreten Plan nicht stattgefunden hat. Und an eine Veränderung, die einfach so passiert ist, ganz einfach, ganz leicht.
Nur warum ist das so?
Eine wahre Veränderung findet im Inneren statt. Und wenn ich Inneres sage, meine ich nicht eine Verstands-Veränderung. Denn vom Verstand her wissen wir alle, was wir tun und lassen sollten. Das alleine hilft aber gar nichts.
Das Innere liegt auf einer tieferen Ebene. Es ist das, was ich mit „in the bones“ meine. Es ist ein tieferes Verständnis, ein Erkennen, ein Shift im Bewusstsein, ein tieferes Wissen. Es ist kein horizontales dazulernen, es ist ein vertikaler Quantensprung. Nur wenn das geschieht, findet tatsächliche Veränderung statt.
Es ist ein unsichtbarer Vorgang und wir wissen nicht, wann und ob es überhaupt passiert. Das ist das Gemeine. Das ist jedoch das, was viele nicht hören oder wahrhaben wollen. Es ist auch das, was viele Menschen arbeitslos machen würde. Denn viel einfacher ist es, einen X-Schritte Plan aufzustellen und damit die Hoffnung zu verkaufen, dass eine Veränderung möglicherweise stattfindet.
Die vielleicht auch stattfindet. Aber definitiv nicht, weil jemand die X-Schritte eingehalten hat oder ganz viel Disziplin oder Willenskraft aufgebracht hat. Sondern weil im Inneren ein horizontaler Shift erfolgt ist. Manchmal ganz leise und unbemerkt. Manchmal mit einem lauten „Klick“.
Hinterlasse einen Kommentar