Es gibt nicht viel, was ich in meinem bisherigen Leben bereue. Ich habe viel erreicht, viel ausprobiert, viel gesehen. Wenn es etwas gibt, was ich bereue, dann dass ich viele Jahre meines Lebens nicht intensiver und bewusster genossen habe. Dass ich es nicht konnte, lag an einem einzigen Grund: Ich war süchtig nach Zielen (auf englisch: Destination Addiction)
Vor Jahren war ich an einem Event von Jürgen Höller. Er war damals DER Motivations-Trainer schlecht hin und füllte ganze Säle mit Menschen, die mehr erreichen wollten. Er brachte die Masse dazu, aufzustehen und laut „Tschakka – ich schaffe alles was ich will“ zu brüllen.
Obwohl ich solche Massen-Veranstaltungen schon damals nicht mochte, fand ich mitten in der Masse, um voller Inbrunst auch diesen Satz zu rufen und mich zu Hause vor ein Blatt Papier zu setzen und alles aufzuschreiben, was ich mir wünschte. Natürlich mit Datum versehen, so soll es bei Zielen sein. SMART.
- Eine leitende Position
- Ein Haus mit Garten
- Einen BMW
- Eine liebevolle Partnerschaft
- Ein wohlerzogenes Kind, dass seine Matura macht und nicht auf die schiefe Bahn gerät
- Mein Studium abschließen
Nun, ich habe das alles erreicht, keine Frage. Allerdings der Preis dafür war hoch.
Ich war ständig gehetzt. Kaum saß ich irgendwo in Ruhe, ratterte es in meinem Kopf. „Du kannst dich hier jetzt nicht ausruhen. Du hast noch viel zu tun. Los, los, weiter.“ Eigentlich erkannte ich auch gar nicht, wann ich eines dieser Ziele erreicht hatte, denn ich war ja lange noch nicht fertig. Es lagen immer noch viele Ziele vor mir.
In der Früh brachte ich gehetzt mein Kind zur Schule, dann eilte ich von einem Termin zum nächsten, dazwischen arbeitete ich hunderte von E-Mails ab. Dann schnell einkaufen, Kind abholen, zu Hause was kochen, Kind ins Bett und am Abend noch für mein Studium lernen. So ging es tagein tagaus. Erholung – ja vielleicht am Wochenende, aber eigentlich hatte ich dann endlich Zeit noch mehr zu lernen. Im Urlaub – endlich Zeit viele, viele liegengebliebenen Bücher zu lesen.
Wenn ich nur …. erreiche, dann ….
Dann habe ich endlich Zeit mich zu entspannen.
Dann habe ich Zeit das Leben zu genießen.
Dann geht es mir viel besser.
Nur wann genau kommt dieses „dann“?
Leben in der Zukunft
Menschen, die süchtig nach Zielen sind, glauben Zufriedenheit und Erfolg ist ein Ziel, das sie erreichen können. Wenn sie nur hart genug daran arbeiten, konsequent sind und Disziplin aufbringen.
Sie können nicht sehen, was sie jetzt gerade haben, weil alles was sie jetzt tun und haben nur der Fahrschein für die Zukunft ist. Und da die Zukunft rosig und groß ist, ist alles, was sie jetzt haben, im Vergleich dazu nur klein und unbedeutend.
Sie sind süchtig nach der Idee, dass Erfolg und Zufriedenheit in der Zukunft liegen. Im nächsten Job, in der nächsten Beziehungen, im nächsten Kunden.
Natürlich ist Ziele setzen nichts Schlechtes. Belastend wird es dann, wenn wir nicht mehr ruhig das „Jetzt“ genießen können, weil wir ständig den Blick in die weite Ferne gerichtet haben.
Wenn das der Fall ist, dann leiden wir früher oder später unter der Jagd nach Erfolg und Zufriedenheit. Wir sind immer am Sprung, am Weg. Unser Ziel ist es nicht, den Tag zu genießen, sondern durch den Tag zu kommen.
Wir schleppen uns von Woche zu Woche, von Monat zu Monat. Endlich ist Freitag und die To-do-Liste abgearbeitet. Endlich ist Urlaub, Zeit für Entspannung. Wir müssen immer zuerst irgendwo ankommen, bevor wir uns entspannen und den Augenblick genießen können.
Glauben wir. Denn tatsächlich kommen wir nie an. Denn das nächste Ziel liegt immer schon vor uns.
Ich sage nicht, dass wir uns ab nun keine Ziele mehr setzen und nur mehr Chips und Schokolade naschend auf dem Sofa herumlümmeln sollen. Es spricht nichts dagegen etwas im Leben erreichen zu wollen.
Wir haben den Freude verlernt
Aber ist es nicht absurd, dass wir tausende von Euros ausgeben, nur um eine Woche nichts zu tun. Wir zahlen fürs Entspannen. Die Entspannungsbranche ist eine der größten unserer Zeit. Wir erlauben uns erst nichts zu tun, wenn wir Geld dafür ausgeben. Wie krank ist das. Zuhause dürfen wir nicht entspannen, wir müssen immer etwas tun, immer Ziele erreichen. Noch weiter, noch höher, noch schneller.
Spaß und Freude bleiben dabei auf der Strecke.
Die Sucht nach Zielen ist ein Nonstop Versuch nach innerer Ruhe und Frieden.
Allerdings hat es einen Grund, warum es „innerer“ Frieden heißt. Es ist unwahrscheinlich, dass sich dieser im Außen finden lässt.
Bei mir hat es eine ganze Weile gedauert, bis ich erkannt habe, dass ich in einer „Wenn …, dann …“ Dauer-Schleife lebe. Dass ich mich von einem Ziel zum anderen schleppe und doch nie ankomme.
Bist du süchtig nach Zielen?
Woran erkennst du, ob du süchtig nach Zielen bist?
Ein paar Anzeichen sind:
- Was immer du gerade tust, du denkst immer daran, was du als nächstes tun kannst/sollst/musst.
- Du kannst es dir nicht erlauben, stehen zu bleiben, weil du immer etwas zu tun hast.
- Du bist immer in Eile, auch wenn du eigentlich keinen Grund dazu hast.
- Du bist davon überzeugt, wenn du erst XY erreicht hast, dann wird alles besser.
- Du committest dich zu nichts wirklich zu 100 %, weil es immer die Möglichkeit gibt, dass noch etwas besserer kommt.
- Du glaubst immer, du solltest eigentlich schon viel weiter sein, als du es gerade bist.
Vielleicht erkennst du dich in der einen oder anderen Aussage wieder. Leider bist du nicht die/der Einzige. Der Autor Shawn Achor sagt in „The Happiness Advantage“, dass wir als Gesellschaft die Zufriedenheit hinter den Horizont unserer Wahrnehmung verlagert haben. Sobald wir ein Ziel erreicht haben, setzen wir uns das Nächste.
Und dadurch versäumen wir die schönsten Dinge, die unser Leben zu bieten hat: Freude, Kreativität und das tiefe Gefühle des Wohlbefindens.
Nur diese Dinge können wir durch kein einziges erreichtes Ziel erlangen. Nicht durch viel Geld, viele Kunden. Nicht durch Kinder, Partner, Schönheit.
Solange du meinst, deine Zufriedenheit ist irgendwo da draußen, wird sie nie dort sein, wo du gerade bist.
Worum geht es wirklich im Leben?
Erst wenn wir erkennen, dass Zufriedenheit und damit einhergehend Erfolg, ausschließlich aus uns herauskommen, von innen nach außen passiert, werden wir auch das erreichen, wonach wir uns immer schon gesehnt haben.
Denn es geht niemals um das Haus am Meer, den tollen Wagen vor der Türe oder ein Heer von Fans auf Facebook.
Stattdessen geht es darum, ein Leben zu führen, das dir erlaubt, deine Kreativität in die Welt zu bringen. Deinen Weg zu gehen, ganz gleich, wohin er dich führt und wie lange er dauert. Zu lachen, Spaß zu haben, du selbst zu sein.
Es geht darum, dass du erkennst, welch unglaublichen Schatz du in dir trägst, welche Magie sich in dir befindet und dass du Freundschaften, Liebe und den schattigen Platz im heißen Sommer genießen kannst und darfst.
Darum geht es im Leben!
Ich les das gerade zufällig und merke, dass ich das genau so seit einigen Wochen denke! Ich habs versucht zu verwerfen, dachte zwischendurch es is Quatsch, aber jetzt wo ich es hier nochmal schwarz auf weiß lese… hat es Klick gemacht!!!! Super Beitrag, vielen Dank ?
Liebe Annett,
das freut mich sehr, dass es bei dir Klick gemacht hat. Ja, manchmal brauchen wir ein wenig, aber schön, dass du es gesehen hast für dich ?.
Alles Liebe
Silvia
Liebe Silvia, ich bin ganz bei Dir. Gerade habe ich in einem Kommentar in Facebook geschrieben: “ Ich setze mir gar keine Ziele mehr. Ich folge meiner Intuition und Freude und damit lebe ich dann ganz natürlich mein WARUM. Ich genieße somit viel mehr mein Leben und meine Arbeit und das ist für mich Erfolg“ ? Danke für Deinen wertvollen Beitrag. Ich habe mich da so wiedererkannt. Ich war eine Mega Zielsüchtige ? Ganz liebe Grüße, Diana ❤️
Liebe Diana,
oja, es lebt sich so viel einfacher und angenehmer, wenn wir keinen Zielen mehr hinterher jagen und unserer Intuition vertrauen. Schön, dich dabei beobachten zu können – keine Ziele mehr, tut dir soo gut ?
Alles Liebe
Silvia